- Rechtsstaatlicher und gesellschaftspolitischer Rahmen
- Definition des Kriteriums
- Leitfragen
- Erläuterungen zu den Subkriterien
- Quellen
- Literaturverzeichnis
- Weitere Kriterien
Definition des Kriteriums
Was ist "Rechtsstaatlicher und gesellschaftspolitischer Rahmen"?
Auch der rechtsstaatliche und gesellschaftspolitische Rahmen, in den die internationale Wissenschaftskooperation eingebettet ist, sollte in einer umfassenden Potenzial wie Risikoabwägung berücksichtigt werden. Hierbei sind auch Aspekte im Zusammenhang mit übergreifenden Konflikt und Krisenlagen mit einzubeziehen (siehe Kriterium 1), die an dieser Stelle detaillierter betrachtet werden sollen.
Leitfragen
A. Governance/Fragilität
- Wie gestalten sich in der Gesellschaft Ihrer Partnerinstitution Hierarchien und Entscheidungswege? Welche Bedeutung haben persönliche Beziehungen?
- Wie ist die (Finanz)Verwaltung im jeweiligen Partnerland organisiert?
- Was ist in Bezug auf Diversität zu beachten? Bestehen Strukturen ethnischer, genderspezifischer, religiöser Diskriminierung oder eine affirmative Politik, die bestimmte Gruppen bevorzugt oder marginalisiert?
B. Rahmenbedingungen des Bildungssystems
- Wie identifiziere ich frühzeitig die maßgeblichen Stakeholder und Entscheidungsträger in den Ministerien, den Behörden sowie auf den unterschiedlichen Ebenen der jeweiligen Partnerinstitution (Leitung, Fachbereich, Verwaltung)?
C. Rechtssicherheit
- Ist ein besonderer Rechtsrahmen des Partnerlandes mit zu berücksichtigen?
- Sind Gerichte weitgehend unabhängig?
D. Meinungsfreiheit
- Gibt es gesetzliche Regelungen oder Rechtsverordnungen zu Religionsschutz, Meinungsfreiheit, Zensur, zur Regulierung von Datentransfer, Datenspeicherung oder sozialer Medien?
E. Soziokulturelle Besonderheiten
- Haben Sie sich vorab zu interkulturellen Fragen informiert? Haben Sie beispielsweise geprüft, ob in der Gastkultur das persönlich Gespräch vor der Sachklärung kommt oder wie Zustimmung, Zweifel und Ablehnung höflich ausgedrückt werden?
- Welche Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen haben beide Seiten, gegebenenfalls auch jenseits der akademischen Ebene, bezüglich der Zusammenarbeit?
- Haben Sie Zeit für informelles Kennenlernen eingeplant?
Erläuterungen zu den Subkriterien
A. Governance/Fragilität
(hier sind mögliche Konfliktlagen beispielsweise Korruption, Nepotismus, eingeschränkte Autonomie von Behörden und/oder Institutionen)
B. Rahmenbedingungen des Bildungssystems
(insbesondere unter Berücksichtigung der Dimensionen Politik, Wirtschaft und Bevölkerung)
C. Rechtssicherheit
D. Meinungsfreiheit
E. Soziokulturelle Besonderheiten
(unter Einschluss einer diversitätssensiblen Kontextanalyse)
Die politischen, rechtlichen und kulturellen Gegebenheiten in den verschiedenen Partnerländern zu begreifen und interkulturell sensibel in Handlungswissen zu überführen, stellt eine wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung von Kooperationsvorhaben dar. Kenntnisse über die Art der Projektplanung oder die Form der Verhandlungsführung auf Partnerseite können helfen, Differenzen oder unterschiedliche Erwartungshaltungen frühzeitig zu adressieren und zu überwinden. “Dabei spielen der regionale [, der politische], der kulturelle wie auch der administrative Kontext ebenso wie unterschiedliche Vorgaben, Interessen und Restriktionen der beteiligten Akteure eine zentrale Rolle. […] Die Beschäftigung mit dem sozialen und kulturellen Kontext der Kooperationspartner sollte fester Bestandteil der Vorbereitungen auf das gemeinsame Projekt sein.”1
In einem fremden Umfeld sollten die rechtlichen Bedingungen vor Ort bekannt sein und beachtet werden. Hierfür bieten sich in der Auslandsvorbereitung Fortbildungen zu soziokulturellen und rechtlichen Rahmenbedingungen vor Ort oder interkulturelle Trainings an. Der DAAD bietet über die Internationale DAAD Akademie (iDA) Seminare sowohl zu Bildungssystemen als auch zum interkulturellen Lernen für wichtige Länder und Regionen an. Darüber hinaus bietet das DAAD-Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen Informationsangebote im Themenfeld “Rechtliche Rahmenbedingungen” an. Auch die Akademie für Internationale Zusammenarbeit der GIZ bietet Auslandsvorbereitungskurse an, in denen personen-, länder- und auch themenspezifisch umfassend auf soziokulturelle Bedingungen im jeweiligen Zielland vorbereitet werden. Ferner können Assistance-Dienstleister in der Ausreisevorbereitung in Form von Ausreiseseminaren oder Auslandsunterweisungen unterstützen.
Quellen
Im Folgenden werden Referenzquellen aufgeführt, die eine erste Einordnung ermöglichen. Zu Beginn werden jeweils die wichtigsten Subkriterien genannt, zu denen anschließend jeweils Informationen zur Verfügung gestellt werden.
A. Governance/Fragilität
B. Rahmenbedingungen des Bildungssystems
C. Rechtssicherheit
OECD iLibrary
Ein Referenzindex der OECD für den rechtsstaatlichen und gesellschaftspolitischen Rahmen und die genannten ausdifferenzierten Subkriterien ist der States of Fragility Report. Entlang der fünf Dimensionen Wirtschaft, Umwelt, Politik, Sicherheit und Gesellschaft werden hierin jeweils acht bis zwölf Indikatoren analysiert und trianguliert. Im September 2022 wurde der neue Bericht der OECD veröffentlicht. Er untersucht globale Fragilität und ihre Auswirkungen auf Stabilität und Entwicklung. In den 60 identifizierten Kontexten, die laut des Berichts als fragil einzustufen sind, leben aktuell 1,9 Milliarden Menschen. Sie machen 24% der Weltbevölkerung und 73% der ärmsten Menschen der Welt aus. Das Hauptaugenmerk der OECD-Analyse liegt auf den komplexen Herausforderungen, die durch COVID-19, den Klimawandel und den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine verstärkt werden. Das Dokument betont die Notwendigkeit multidimensionaler Ansätze zur Bewältigung von Fragilität und fordert kollektive Maßnahmen, um die Ursachen von Instabilität anzugehen und eine nachhaltige Entwicklung zu fördern.2
Bertelsmann Stiftung
Die Bertelsmann Stiftung stellt über den BTI Transformation Index drei Subindizes bereit: den “Index Politische Transformation”, den “Index Wirtschaftliche Transformation” sowie den “Governance-Index“. Alle drei Dimensionen lassen sich im globalen Vergleich auf der Basis ausgewählter Indikatoren in Form einer Weltkartenvisualisierung aufrufen. Darüber hinaus gibt es umfassende “Country-Reports” zu den jeweiligen Ländern, die sich nach den genannten Indikatoren ausdifferenziert zusammenstellen lassen. Diese “Country-Reports” bieten einen Überblick über die Situation und Entwicklung der jeweiligen Regionen.
Transparency International und "Global Corruption Index"
Als Referenzquelle für Korruptionsindizes ist die Organisation Transparency International anzuführen. Für den Bereich Bildung wird über Transparency International der Global Corruption Report: Education veröffentlicht, der sich im dritten Teil explizit mit der Transparenz und Integrität im tertiären Bildungsbereich befasst. Allerdings stammt der letzte Report aus dem Jahr 2013 und ist seitdem nicht mehr aktualisiert worden. Ferner weist auch der Global Corruption Index des Schweizer Unternehmens Global Risk Profile (GRP) für 199 Länder und Gebiete einen Korruptionsindex aus, der sich aus 28 Indikatoren zusammensetzt. Der Global Corruption Index verbindet zwei Subindizes, Korruption und Wirtschaftskriminalität.
Länderinformationen: Konflikt und Politikanalysen
Über die unter Kriterium 2 genannten Bezugsquellen des DLR sowie der Webseite Kooperation international hinausgehend, können an dieser Stelle noch breiter angelegte Länderprofile, Konflikt und Politikanalysen als hilfreiche Referenzquellen empfohlen werden. Hier sind vorrangig die Studien der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP (Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit) und des größten außeruniversitären Informationszentrums für vergleichende Regionalstudien, dem German Institute for Global and Area Studies (GIGA), zu nennen.
Die weiter oben genannten Einrichtungen, wie die International Crisis Group und auch das UCDP, liefern über die Kartenfunktionen hinaus auch politische Analysen zu ausgewählten Schwerpunktthemen. Ferner stellen die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ebenso wie die Bundeszentrale für politische Bildung eine ganze Bandbreite an länder und themenspezifischen Informationen zur Verfügung.
Auch liefern die bundesweiten politischen Stiftungen und deren Auslandsvertretungsbüros politische Analysen und Schlaglichtberichte zu aktuellen politischen Themen: die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES); die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS); die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS); die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNS); die Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) und die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS).
Freedom House
Freedom House ist eine internationale Nichtregierungsorganisation, die sich für die Vereidigung der Menschenrechte und die Förderung des demokratischen Wandels einsetzt. Die Schwerpunkte liegen bei den Indizes auf politischen Rechten sowie bürgerlichen Freiheiten. Anhand von derzeit 13 Schwerpunkten, darunter “Autoritäre Strukturen”, “Freiheit der Medien”, “Rechenschaft und Verantwortung von Regierungen und Behörden”, “Rechte der Zivilgesellschaft” und “Meinungsfreiheit”, werden Analysen vorgelegt und Informationen in den Freedom House Index eingespeist. Über eine Weltkartenfunktion lässt sich ein Vergleich zum Stand der Demokratie sowie zur Freiheit der Internetnutzung aufrufen.
Ebenfalls werden Veränderungen und Trends über den Freedom House Index erfasst. In Länderprofilen werden die jeweiligen Trends sowie die einzelnen Indikatoren ausführlich beschrieben. In den Freedom House Policy Recommendations werden ferner zu ausgewählten Themen wie auch regionalen Konfliktpunkten Handlungsempfehlungen ausgesprochen.
Global Public Policy Institute
Im Oktober 2020 ist die von der Stiftung Mercator in Auftrag gegebene Studie Risky Business.Rethinking Research Cooperation and Exchange with Non-Democracies. Strategies for Foundations, Universities, Civil Society Organizations, and Think Tanks3 auf der Website des Global Public Policy Institutes (GPPi) veröffentlicht worden. Als grundlegende Werte in Kooperationen werden in dieser Studie Menschenrechte, Wissenschaftsfreiheit, Forschungsintegrität und Diversität definiert, die als Basis zur Klärung der eigenen Ziele in Kooperationen beschrieben werden.
Ferner werden Risiken in Kooperationen entlang von acht Aspekten ausdifferenziert: “Abhängigkeit in Form von finanzieller Einflussnahme auf Wissenschaftssysteme”; “Selbstzensur”; “Instrumentalisierung”, hier im Sinne einer Nutzung von Netzwerken zur Legitimation von Narrativen und Aktionen in liberalen Demokratien; “Repression”; “unfreiwilliger Technologietransfer und Spionage”; “Dual Use”; “willkürliche Diskriminierung” sowie “Pfadabhängigkeit”, womit in dieser Studie die Schwierigkeit gemeint ist, sich aus etablierten, lange bestehenden Kooperationen zurückzuziehen. Die Studie verdichtet den aktuellen Sachstand zu Herausforderungen internationaler Wissenschaftskooperationen. Sie sensibilisiert mit klar formulierten Bewertungen für bestehende Risiken und schlägt in 74 Punkten Maßnahmen zur Reflexion von Kooperationen vor.
Literaturverzeichnis
Literaturverzeichnis
1 Auszug aus der DAAD-Handreichung “Gemeinsam tragfähige Strukturen entwickeln: Deutsch-Afrikanische Hochschulkooperationen”.
2 States of Fragility Report (2022). Abrufbar unter: https://www.oecd.org/en/publications/states-of-fragility-2022_c7fedf5e-en.html (Letzter Zugriff: 19.09.2024)
3 Baykal, A. and Benner, T. (2020). Risky Business. Rethinking Research Cooperation and Exchange with non-Democracies. Strategies for Foundations, Universities, Civil Society Organizations, and think tanks.
Weitere Kriterien
Kriterium 1: Allgemeine Sicherheitslage
Im hier vorgelegten Kriterienkatalog wird zur Erfassung der sicherheitsrelevanten Faktoren die Referenzdimension personenbezogene Sicherheit zugrunde gelegt.
Kriterium 2: Allgemeinpolitische Gebotenheit
In dem hier vorgelegten Kriterienkatalog wird die allgemeinpolitische Einordnung sowie die Sicherheitslage bewertet.
Kriterium 4: Chancen und Risiken des jeweiligen Wissenschaftssystems
Wissenschaftskooperationen bergen Potenziale und Risiken. Leistung, Internationalisierung, Passgenauigkeit und Ethik spielen eine Rolle.
Kriterium 5: Qualität wissenschaftlicher Partnerinstitution(en)
Um eine erfolgreiche Hochschulkooperation zu gewährleisten, ist es wichtig, die richtige Partnerinstitution vor Ort zu finden.
Kriterium 6: Einbettung in die eigene institutionelle Strategie
Professionelles Kooperationsmanagement erfordert die Integration in die institutionelle Gesamtstrategie. Dazu gehört auch Adaptivität und Offenheit.