- Keine roten Linien
- Vorwort
- Einleitung
- Chancen und Risiken abwägen
- Die sechs Kriterien
- Ausblick – Wie geht es weiter?
- Beratung und Kontakt
Vorwort
Akademische Zusammenarbeit realistisch gestalten
Als der DAAD im Dezember 2020 die erste Auflage des KIWi Kompass “Keine roten Linien” veröffentlichte, waren viele geopolitische Gewissheiten bereits ins Wanken geraten.
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Die sich verändernden Rahmenbedingungen und ihre Auswirkungen auf die internationale akademische Zusammenarbeit waren bereits deutlich spürbar. Seitdem haben Fragen von Risiko und Sicherheit in internationalen akademischen Kooperationen weiter an Bedeutung gewonnen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund geopolitischer Rahmenbedingungen der internationalen Zusammenarbeit. Der Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022, der die internationale Ordnung nachhaltig erschüttert hat, der Angriff der Hamas auf israelischen Boden am 7.10.2023 und die damit einhergehenden weltweiten Auswirkungen des Nahostkonfliktes, aber auch die zunehmenden Spannungen in der Zusammenarbeit mit China haben direkte Implikationen für eine risikoreflexive und sichere Ausgestaltung internationaler Kooperationen. Die von Bundeskanzler Scholz ausgerufene “Zeitenwende” spiegelt sich in einem wachsenden Bedarf an Orientierung und handlungsrelevantem Wissen für internationale Wissenschaftszusammenarbeit.
Die Entwicklungen in den letzten zwei Jahren haben uns vor allem eines sehr deutlich vor Augen geführt: Akademischer Austausch und internationale Wissenschaftskooperationen finden nicht in einem apolitischen Raum statt. Im Gegenteil: Dem Kooperationsraum Wissenschaft kommt eine besondere politische Bedeutung zu. Wissenschaft ist, ob sie es möchte oder nicht, eine harte Währung in der internationalen Zusammenarbeit geworden. Einerseits wächst stetig der Bedarf an wissenschaftlich gestützten Perspektiven auf die großen gesellschaftlichen, globalen, ja planetaren Fragen. Andererseits sehen wir in zahlreichen Ländern der Welt zunehmend nicht-demokratische oder autokratische Tendenzen. Für viele Staaten ist eine führende Rolle in Forschung und Technologie zudem längst integraler Bestandteil einer Grand Strategy zur Verteidigung oder Erlangung der eigenen globalen Machtposition geworden.
Wie kann akademische Kooperation also im Sinne der Wissenschaft gestaltet und gefördert werden, ohne naiv zu sein und die politischen Bedingungen und Implikationen dieser Zusammenarbeit zu ignorieren? Der DAAD plädiert hier für eine differenzierte Perspektive und ein kriteriengeleitetes Abwägen. Zu berücksichtigen sind dabei nicht zuletzt Themen, Akteure und Kontexte der jeweiligen Zusammenarbeit. Es geht also um einen sensiblen Analyse- und Aushandlungsprozess, dessen Grundlage ein ehrliches und rationales Abwägen von Werten, Interessen, Risiken und Chancen sein muss. Das heißt auch, dass eine kategorische Definition allgemein gültiger “roter Linien” nicht zielführend ist. Vielmehr sollte der Fokus auf der Prüfung und Verhandlung von spezifischen Kooperationsbedingungen in konkreten Konstellationen liegen. Dazu gehört – im jeweils konkreten Fall – selbstverständlich auch die Frage, wann Grenzen erreicht sind und spezifische Formen der Kooperation nicht mehr vertretbar sind.
Mit dem KIWi Kompass “Keine roten Linien” unterstützt der DAAD genau hierbei. Die Handreichung ermöglicht Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen, auf umfassend informierter und reflektierter Grundlage und anhand klarer Kriterien fundierte Chancen- und Risikoabwägungen vorzunehmen und autonome Entscheidungen mit Blick auf konkrete Kooperationskonstellationen zu treffen.
Prof. Dr. Joybrato Mukherjee
Präsident Deutscher Akademischer Austauschdienst
Einleitung
Seit 2020 berät das Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) des DAAD deutsche Hochschulen bei der Anbahnung und Durchführung von Projekten mit Partnereinrichtungen im Ausland und unterstützt gerade auch in den Fällen, in denen komplexe Rahmenbedingungen bei den beteiligten Akteuren Unsicherheiten hervorrufen und sich die Zusammenarbeit herausfordernd gestaltet.
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Als erste Beratungsstelle dieser Art bündelt das KIWi regionale und fachliche Expertise für internationale Wissenschaftskooperationen und bezieht dabei aktuelle Länderinformationen des DAAD-Außennetzwerkes ebenso mit ein wie das praktische Erfahrungswissen seiner Mitgliedshochschulen. Inhaltliche Schwerpunkte werden dabei unter anderem in den Themenfeldern “Risiko und Sicherheit” und “Rechtliche Rahmenbedingungen” gesetzt. Neben individueller Beratung, den KIWi Policy Talks und KIWi Connect-Veranstaltungen, die den Peer-to-Peer-Erfahrungsaustausch ermöglichen, stellt das Kompetenzzentrum auch eine breite Palette an Publikationen bereit, die eine wichtige Informations- und Bewertungsgrundlage für die Kooperationspraxis darstellen. Eine zentrale Handreichung, die Akteuren der Internationalisierung auf systematischer Grundlage Orientierung in der wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit Partnern unter komplexen Rahmenbedingungen bietet, ist der KIWi Kompass “Keine rote Linien”.
Dr. Julia Linder
Referentin Risiko und Sicherheit
Chancen und Risiken abwägen
Der DAAD möchte Hochschulen für eine eigenständige Risiko- und Chancenabwägung in der Kooperation mit internationalen Partnern sensibilisieren, indem die Multidimensionalität sicherheitsrelevanter Aspekte aufgezeigt wird. Der KIWi Kompass “Keine roten Linien” legt den Hochschulen ein Raster von sechs Kriterien vor, anhand derer sich Chancen und Risiken einer Kooperation bewerten lassen. Für jedes Kriterium sind Subkriterien definiert sowie einschlägige öffentlich zugängige Informationsquellen identifiziert worden, die eine vertiefte Befassung und Recherche ermöglichen.
Das auf der Grundlage umfangreicher, praktischer Projekterfahrung in der internationalen Wissenschaftskooperation entwickelte Kriterienraster richtet sich an die unterschiedlichen an Internationalisierungsprozessen beteiligten Akteursgruppen: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Hochschulleitungen und Hochschulverwaltung. Die sechs Kriterien können für spezifische Kooperationskonstellationen individuell gewichtet werden. Es handelt sich nicht um ein starres Bewertungsgerüst, sondern vielmehr um ein flexibel einsetzbares Werkzeug, das dabei hilft, konkrete Herausforderungen zu identifizieren und einzugrenzen. Durch den Fokus auf eines oder mehrere dieser sechs Kriterien kann anhand der Referenzquellen jeweils geprüft und objektiv bewertet werden, ob eine Kooperation mit internationalen Partnern für beide Seiten wissenschaftlich ertragreich ist und wie mögliche Risiken einzuschätzen sind.
Das Kriterienraster soll in diesem Sinne als Orientierungshilfe dienen: Es kann auf ein Land, auf eine Region, auf eine konkrete Partneruniversität, auf eine Fachdisziplin oder auch auf eine spezifische Kooperation bezogen werden. Der KIWi Kompass “Keine roten Linien” kann auch eingesetzt werden, wenn sich bspw. die Rahmenbedingungen in einem Partnerland verändern. Er ist ebenfalls für die Entscheidungsfindung bezüglich der Anbahnung neuer Kooperationen geeignet.
Der KIWi Kompass “Keine roten Linien” verzichtet auf länderspezifische Perspektiven und Quellen. Diese werden vom DAAD im Rahmen von Länderberichten, Impulspapieren und Expertengesprächen thematisiert und in der individuellen Beratung des KIWi berücksichtigt.
Pauschale Länderzuschreibungen helfen nicht weiter. Vielmehr müssen "rote Linien" von Kooperationen ständig neu ausgelotet werden. Statische one size fits all-Ansätze eignen sich nicht, um anlassbezogen agieren zu können. Das KIWi unterstützt dabei Risiken und Chancen abzuwägen.Dr. Kai Sicks, Generalsekretär Deutscher Akademischer Austauschdienst
Die sechs Kriterien
Der KIWi Kompass “Keine roten Linien” unterteilt das Feld der Hochschulkooperationen in sechs Kriterien.
Kriterium 1: Allgemeine Sicherheitslage
Kriterium 2: Allgemeinpolitische Gebotenheit
Kriterium 3: Rechtsstaatlicher und gesellschaftspolitischer Rahmen
Kriterium 4: Chancen und Risiken des jeweiligen Wissenschaftssystems
Kriterium 5: Qualität wissenschaftlicher Partnerinstitution(en)
Kriterium 6: Einbettung in die eigene institutionelle Strategie
Ausblick – Wie geht es weiter?
Der KIWi Kompass “Keine roten Linien” ermöglicht Ihnen, den Internationalisierungsakteurinnen und -akteuren der Hochschulen, sensible Bewertungen und informierte Entscheidungen beim Auf- und Ausbau von Wissenschaftskooperationen, die unter zunehmend komplexen Rahmenbedingungen stattfinden. Als kriterienbasierter Leitfaden schafft er eine Diskussions- und Arbeitsbasis für hochschulinterne Prozesse zum Aufbau eines tragfähigen Risiko-, Sicherheits- und Krisenmanagements. Das KIWi hat diese Handreichung spezifisch zur Entscheidungsfindung entwickelt und liefert praxisnahe Anknüpfungspunkte für präventive und reaktive Maßnahmen. Der Prozess der Entscheidungsfindung stellt die erste von drei Säulen dar, zu denen wir im KIWi-Themenfeld “Risiko und Sicherheit” beraten und informieren:
Mit der zweiten Säule sensibilisieren wir für unterschiedliche Perspektiven auf Risiko- und Sicherheitssysteme innerhalb von Hochschulen. Hier werden zum einen zielgruppenspezifische Informationen für Personen auf allen institutionellen Ebenen bereitgestellt (siehe Grafik). Zum anderen begleitet das KIWi den Erfahrungsaustausch beim Aufbau von Risiko- und Sicherheitssystemen.
Zunächst steht die Sensibilisierung für unterschiedliche akteurs- und funktionsspezifische Blickwinkel auf die Themen “Risiko und Sicherheit” im Vordergrund. Dabei sollen auch mögliche Ressentiments und Akzeptanzprobleme in transparenter Form zur Sprache kommen und unterschiedliche Positionen, die von verschiedenen Funktionsträgern auf die Bereiche Risiko und Sicherheit eingenommen werden, beleuchtet werden. Sachkundige, hochschulexterne Wissensträger werden in den Dialog einbezogen, beispielsweise Fachvertreterinnen und Fachvertreter von Bundesämtern und Behörden wie dem BAFA. Ziel ist es, konkrete Hilfestellungen für die Arbeit im Feld der internationalen Wissenschaftskooperation zu geben, um vom Theoretischen in die praktische Umsetzung zu gelangen. Die Etablierung eines umfassenden und tragfähigen Risiko- und Sicherheitsmanagements stellt in diesem Zusammenhang einen grundlegenden ersten Schritt dar.
Mit der dritten Säule legen wir den Fokus auf ausgewählte Länder, Regionen und Disziplinen. Hier können die Potenziale eines nationalen Wissenschaftssystems, die kulturellen Besonderheiten einer Region oder fachspezifische Herausforderungen anhand des vorliegenden Kriterienkatalogs passgenau und anwendungsorientiert analysiert werden, zum Beispiel in Bezug auf Dual-Use in den Ingenieurwissenschaften oder auf Wissenschaftsfreiheit in den Sozial- und Geisteswissenschaften.
In maßgeschneiderten Veranstaltungsformaten thematisieren wir sowohl konkrete regionalspezifische Herausforderungen als auch übergreifende Aspekte, die mit Reisesicherheit, Fürsorgepflicht des Arbeitsgebers, Ausdifferenzierung der Verantwortungsbereiche in den Hochschulen oder auch mit Weisungsbefugnissen und Zuständigkeiten für Risiko- und Sicherheitsmanagerinnen und -manager an Hochschulen zu tun haben.
Letztlich gilt für alle drei genannten Säulen des Themenfeldes “Risiko und Sicherheit”, dass sie in Expertengruppen und unter Einbindung des Wissens aus den Hochschulen erarbeitet und in praktisch orientierte Informations- und Beratungsformate überführt werden. Die Bündelung und Dissemination von Good-Practice-Beispielen und die Befähigung, mit komplexen Rahmenbedingungen umzugehen, steht dabei im Fokus der Angebote des Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen.
Diese digitale Ausgabe des KIWi Kompass “Keine roten Linien” stellt den Ausgangspunkt für weiterführende, hochschulübergreifende Diskussionen dar. Sie versteht sich als ein lebendiges Dokument, das künftig kontinuierlich weiterentwickelt und aktualisiert wird. Wir laden Sie daher ausdrücklich zu Anregungen und Erfahrungsberichten ein, um den gemeinsamen Dialog fortzusetzen.
Beratung und Kontakt
Kontaktieren Sie uns gerne zu Fragen von Risiko und Sicherheit in Ihren internationalen Wissenschaftskooperationen:
Für eine ausführliche Beratung und spezifische Anfragen nutzen Sie bitte unser Kontaktformular.