INTERNATIONALE WISSENSCHAFTSKOOPERATION IN DER ZEITENWENDE I 15 Doch, und wie sie das ist! Das ist die Stunde der Bewährung für eine kluge Wissenschaftsdiplomatie. Die Allianz der Wissen- schaftsorganisationen hat auf den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands gegen die Ukraine reagiert und die Kooperation mit den staatlichen russischen Institutionen eingestellt – in Über- einstimmung mit der Linie der Bundesregierung. Die Wissen- schaftsorganisationen haben also ihre Beziehungen auch ge- nutzt, um ihr Missfallen und die Verurteilung des russischen Verhaltens zum Ausdruck zu bringen. Richtig ist aber auch: Es ist nicht verboten, weiter Wissenschafts- und Kulturbezie- hungen mit der russischen Zivilgesellschaft zu pflegen. Das Goethe- Institut ist dort weiter präsent, russische Studierende und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden weiter in Deutschland gefördert, Repräsentantinnen und Repräsen- tanten des Systems Putin zählen selbstverständlich nicht dazu. Hat sich für das Auswärtige Amt die Definition und Rolle von Science Diplomacy mit der Zeitenwende geändert? Der Charme der Wissenschaftsdiplomatie besteht ja auch darin, von Mensch zu Mensch Verbindlichkeit zu erzeugen. Wenn Archäologinnen und Archäologen im selben Grabungs- abschnitt vier Wochen lang gemeinsam verbracht haben, schafft dies in der Regel Glaubwürdigkeit und Vertrauen. So können Brücken auf nichtstaatlicher Ebene gebaut werden, die Wechselfälle politischer Auseinandersetzungen überdau- ern können. Manchmal öffnen diese Beziehungen auch wie- der Türen zwischen Staaten, die Probleme miteinander hat- ten. Gleichzeitig stellt sich die Frage der Verantwortung von Wissenschaft. Abgesehen vom Extremfall Russland gibt es noch viele andere Länder, mit deren gesellschaftlicher Ord- nung wir nicht einverstanden sind. Dennoch kann es dort eine Zusammenarbeit mit Forschenden geben. Das Auswärtige Amt fördert Science Diplomacy. Es gibt aber auch Sanktionen und Einschränkungen aufgrund von natio- nalstaatlichem Handeln. Besteht dadurch nicht die Gefahr einer Politisierung und Bevormundung von Wissenschaft? Nein, die Zeitenwende ist ein Anwendungsfall der Science Di- plomacy. Internationale Beziehungen verlaufen nicht immer nur friedlich und in Richtung Völkerverständigung. Deswegen können auch internationale Wissen- schaftsbeziehungen nicht im Vakuum statt- finden. Science Diplomacy bedeutet für uns eben auch, dass wir Beziehungen zu einem Land abbauen, das sich in Gegnerschaft zu uns definiert und unsere Sicherheitsinteressen ge- fährdet. Wir verteidigen damit nicht zuletzt die Prinzipien unse- res Grundgesetzes, das in Artikel 5 die Freiheit der Wissenschaft festschreibt. Was kann Wissenschaftsdiploma- tie nicht leisten? ZU ERZEUGEN.“ Abrupte Veränderungen erzwingen. Sie kann den politischen Willen eines Regimes wie in Russland nicht ins Gegenteil verändern. Grenzübergreifender Dialog, Austausch und ge- meinsames Arbeiten unter Wissenschaftlerinnen und Wis- senschaftlern sind wichtig, sind aber keine Versicherung gegen eine Verschlechterung der Beziehungen. Und was kann sie auf jeden Fall besser als die Politik? Sie hat einen langen Atem. Sie kann über Zeitläufe hinweg Ver- ständigung erzeugen, Vertrauen und Glaubwürdigkeit aufbau- en und verstetigen. Eine langfristig angelegte Wissenschafts- diplomatie schafft Beziehungen, die sich über mehr als 100 Jahre bewähren können, wie im Falle des Deutschen Ar- chäologischen Instituts. Bedeutet das, dass die Wissenschaftsdiplomatie viel freier agieren kann, da sie ganz andere Wege als die offiziellen staatlichen Stellen einschlagen kann? „DER CHARME DER WISSENSCHAFTS- DIPLOMATIE BESTEHT JA AUCH DARIN, VON MENSCH ZU MENSCH VERBINDLICHKEIT Wissenschaft findet nicht im luftleeren Raum statt. Forscherin- nen und Forscher anderer Staaten, die sich aktiv für die Freiheit ihrer Tätigkeit einsetzen, riskieren nicht selten ihre Karriere. Auf die Freiheit von Wissen- schaft und Forschung zu bestehen, was wir ja gerade durch Science Diplomacy tun, ist nun mal politisch. Wenn wir also Wissen- schaftsbeziehungen zu Staaten unter- halten, in denen Wissenschaftsfreiheit nicht existiert oder nicht zwischen zi- viler und militärischer Forschung un- terschieden wird – dann ergeben sich daraus für uns Konsequenzen. Auch wenn Wissenschaftlerinnen und Wis- senschaftler nicht mehr zusammenar- beiten wollen, weil die Ergebnisse der gemeinsamen Forschung möglicherwei- se militärischen Zwecken zugeführt wer- den, ist diese Entscheidung natürlich auch eine politische. Nicht immer sind die Bedin- gungen der Zusammenarbeit glasklar; für solche Fälle bietet der DAAD mit dem Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen Unterstützung an. Was könnten wir tun, damit Wissenschaft international nicht instrumentalisiert und eingeschränkt wird? Wir versuchen, ein Vorbild zu sein: Wir können Wissenschafts- freiheit keinem Land aufzwingen, aber wir können sie vorleben und zeigen, wie wir von ihren Vorteilen profitieren. Gerade für die Systemauseinandersetzung mit einem Land wie China ist es sehr wichtig, dass wir uns treu bleiben und nicht versuchen, in einen Wettbewerb einzusteigen, wer die besseren Lenkungs- effekte erzielt. Die Strahlkraft, die die Freiheit unserer Wissen- schaft hat, wirkt nicht nur anziehend auf viele internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die hier arbeiten wollen. Sie überzeugt auch jene, die sich in ihren Staaten für freie Wissenschaft und Forschung einsetzen.