LETTER 01/2022

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DAAD-Jahresbericht 2021 veröffentlicht. DAAD annual report 2021 published. WEITERE INFORMATIONEN Lesen Sie jetzt den DAAD-Jahresbericht und die Berichte der Außenstellen und erfahren Sie mehr zu den vielfältigen Aufgaben und Projekten des DAAD. www.daad.de/berichte MORE INFORMATION Check out our annual report for an overview of the many different tasks and projects of the DAAD. www.daad.de/annualreport

ZUM AUFTAKT Getting started Erinnern reicht manchmal nicht Remembering is sometimes not enough 3 WAS HAT DIESE togoische Sprechtrommel mit deutscher Erinnerungskultur zu tun? Alles. Denn sie befindet sich seit vielen Jahrzehnten im Depot des GRASSI Museums für Völkerkunde zu Leipzig, „Erwerbsumstände unbekannt“. Kolonialforscher und DAAD-Alumnus Dr. Ohiniko Mawussé Toffa kennt Trommeln wie diese aus seiner Heimat. In Togo sind sie Symbole eines besonderen Status. In Deutschland ist die Trommel ein Sinnbild da- für, dass das Erinnern manchmal nicht ausreicht. Es müssen Taten folgen. Geschichten müssen richtig erzählt und Gestohlenes muss zurückge- geben werden. Dies ist die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben, für partnerschaftli- chen Wissenschaftsaustausch und für ein Leben ohne Hass und Extremismus. Der DAAD ist sich dieser Verantwortung bewusst. Lesen Sie in die- ser Ausgabe, wie neue DAAD-Programme einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Erinnern reicht nicht, aber es ist ein erster Schritt. — WHAT DOES THIS Togolese talking drum have to do with German remembrance culture? A great deal. Why? Because it has spent many decades in storage at the GRASSI Museum of Ethnology in Leipzig with the comment “Acquisition circum- stances unknown”. Colonial researcher and DAAD alumnus Dr Ohiniko Mawussé Toffa knows drums like this from his home country. In Togo they signify a special status. In Germany the drum is a symbol that remembering is sometimes not enough. Actions need to follow. Stories need to be told correctly and stolen goods returned. That is the foundation for living together in peace, for academic exchange based on partner- ship and for life without hate and extremism. The DAAD is aware of this responsibility. In this issue you can read more about how new DAAD pro- grammes are making an important contribution here. Remembering is not enough, but it is a first step. — g i z p i e L u z e d n u k r e k l ö V r ü f m u e s u M I S S A R G : 3 . S LETTER 01/22

INHALT 3 ZUM AUFTAKT GETTING STARTED Erinnern reicht manchmal nicht Was eine togoische Sprechtrommel mit deutscher Erinnerungskultur zu tun hat Remembering is sometimes not enough What a Togolese talking drum has to do with German remembrance culture 13 14 6 IM GESPRÄCH INTERVIEW 16 18 22 24 28 4 10 Lehren der Vergangenheit Professor Martin Schulze Wessel über den Krieg in der Ukraine Lessons of the past Professor Martin Schulze Wessel on the war in Ukraine IM ÜBERBLICK OVERVIEW Verantwortung des Erinnerns Wie DAAD-Programme einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur leisten The responsibility of remembrance How new DAAD programmes are making an important contribution to remembrance culture IM AUSTAUSCH ENGAGING IN EXCHANGE Mit Museen die Zukunft gestalten TheMuseumsLab bringt Fachleute aus Afrika und Europa zusammen Shaping the future with museums TheMuseumsLab brings experts from Africa and Europe together Aufarbeitung deutscher Kolonialgeschichte Guy Armel Fogang Toyem ist Stipendiat des Programms German Colonial Rule Researching Germany's colonial past Guy Armel Fogang Toyem is a scholarship holder on the German Colonial Rule programme „Transformatives Erlebnis“ Germany Close Up – ein besonderes Besuchsprogramm “A transformative experience” Germany Close Up – A special visitor’s programme Erinnerungsarbeit für den Frieden Das Deutsch-Kolumbianische Friedensinstitut CAPAZ Remembrance work for the sake of peace The German-Colombian Peace Institute CAPAZ ZUM NACHDENKEN FOOD FOR THOUGHT Perspektivenwechsel Professorin Aleida Assmann über die westliche Erinnerungskultur Change of perspective Professor Aleida Assmann on Western remembrance culture AUF EIN WORT JUST ASKING Unterstützung für die Ukraine Ein Beitrag von DAAD-Präsident Professor Joybrato Mukherjee Support for Ukraine An article by DAAD President Professor Joybrato Mukherjee LETTER 01/22

CONTENTS 44 31 IN AKTION IN ACTION IM DIALOG IN DIALOGUE „Das Management von Kulturerbe besser verstehen“ Dr. Britta Rudolff und Mohamed Amer tauschen sich aus “A better understanding of heritage management” A dialogue between Dr Britta Rudolff and Mohamed Amer 32 36 38 40 Mission: Erinnern Don Mee Choi über ein bewegendes Beispiel für Erinnerungskultur Mission: To remember Don Mee Choi talks about a moving example of remem- brance culture Die Wunden sind bis heute spürbar Gastbeitrag von Michaela Küchler vom Auswärtigen Amt The wounds can still be felt to this day A guest contribution by Michaela Küchler from Germany’s Federal Foreign Office Kompakt Osteuropa-Historikerin Dr. Franziska Davies und Professor Jan Ilhan Kizilhan über die Erfahrungen von Menschen in Kriegen In brief Historian Dr Franziska Davies and Professor Jan Ilhan Kizilhan on the experience of people in wars „Wissen ist wie ein Baobab“ Dr. Ohiniko Mawussé Toffa will klären, woher Museums-Deponate in Leipzig stammen “Knowledge is like a baobab” Dr Ohiniko Mawussé Toffa aims to clarify where museums items in Leipzig stem from o t o h p k c o t S i / m a r h d O , s n u r B s a m o h T : 5 . S , z t r A a e r d n A / D A A D : 4 . S 48 IN VERBINDUNG KEEPING IN TOUCH 5 Spuren der Vergangenheit Dr. Jochen Hellmann erinnert an den Beginn der deutschen Einwanderung in Brasilien Traces of the past Dr Jochen Hellmann recalls the start of German immigration to Brazil 50 IN KONTAKT IN CONTACT DAAD-Angebote für Alumni Informationen, Diskussionen, Trainings – online DAAD services for alumni Information, discussions, training courses – online 51 IMPRESSUM IMPRINT LETTER 01/22

INTERVIEW Lehren der Vergangen- heit Professor Martin Schulze Wessel, DAAD-Alumnus und einer der renommiertesten deutschen Kenner osteuropäischer Geschichte, über den Krieg in der Ukraine. 7 Interview: Johannes Göbel Fotos/photographs: DAAD/Andrea Artz Herr Professor Schulze Wessel, der russische Angriff auf die Ukraine wurde nicht zu- letzt mit dem Geschichtsbild Wladimir Putins erklärt. Wel- che Rolle spielt die Historie aus Ihrer Sicht bei diesem Krieg in Europa? Schulze Wessel: Die Ge- schichte bildet für Wladimir Putin den Rahmen seiner Kriegsziele. Aus einer sehr spe- ziellen historischen Sichtweise leitet er die Vorstellung ab, dass es einen selbstständigen Staat Ukraine nicht geben darf. Dem kann man aber ein Narra- tiv entgegensetzen, das auf si- cheren Füßen steht: Schon vor der über 30-jährigen National- geschichte des heutigen Staats Ukraine gab es eine lange Tradition eigenständiger Struk- turen: Besonders prägend ist aus meiner Sicht die Frühe Neuzeit, als die Ukraine Teil der polnisch-litauischen Adels- republik war. In dieser Zeit sind in der Ukraine westliche Strukturen übernommen wor- den, etwa die Partizipations- möglichkeiten des Adels oder das westeuropäische Städte- recht. Die Ukraine sammelte Erfahrungen, die sie deutlich vom russischen Zarenreich un- terschieden. Sie sind Co-Vorsitzender der im Februar 2015 gegründeten und vom DAAD geförderten Deutsch-Ukrainischen Histori- kerkommission. Was konnte die Kommission in den letzten LETTER 01/22 Prof. Dr. Martin Schulze Wessel ist Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte Ost- und Südosteuropas an der LMU München. Im Sommer- semester 2022 forscht er mit einem Richard von Weizsäcker Fellowship am St Antony‘s College in Oxford. Professor Martin Schulze Wessel is holder of the Chair in Eastern and Southeastern European History at LMU Munich. During the summer semester of 2022 he is conducting research at St Antony’s College in Oxford with a Richard von Weizsäcker Fellowship.

8 IM GESPRÄCH sieben Jahren erreichen – und wie geht es weiter? Schulze Wessel: Die deut- schen Mitglieder der Historiker- kommission haben in den ver- gangenen Jahren vor allem ge- lernt, die Ukraine viel umfas- sender zu begreifen, weit hin- aus über ihre Geschichte als Teil des Zarenreichs oder der Sow- jetunion. Ein Schwerpunkt in- nerhalb der Sowjetzeit war die Beschäftigung mit dem von Sta- lin herbeigeführten Holodomor („Tötung durch Hunger“) in den 1930er-Jahren. Die Arbeit der Kommission hat sich durch den Krieg intensiviert. Wir tauschen uns in kurzen Abständen aus und wollen für eine digitale Vorlesungsreihe auch mit Kolle- ginnen und Kollegen eines ka- nadischen Forschungszentrums kooperieren. Zudem planen wir in Zusammenarbeit mit dem Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung ein Programm zur Rettung und Archivierung ukrainischer Kulturgüter. Welche grundsätzliche Bedeu- tung hat die geschichtswissen- schaftliche Beschäftigung mit den Ländern Ost- und Mitteleu- ropas für aktuelles Handeln? Schulze Wessel: Außen- politik ist heute viel komplexer als im Kalten Krieg. Das gilt auch für die Politik innerhalb der EU. Die ost- und mittel- europäischen Staaten, die in den vergangenen Jahren der EU beigetreten sind, haben ein völ- lig neues Element in diese Uni- on eingebracht. Für Deutsch- land reicht es schon lange nicht mehr, Beziehungen zu den USA und Russland zu pflegen, gera- de letztere haben sich ja als nicht tragfähig erwiesen. Kom- plexe internationale „Komplexe internationale Situationen fordern auch historisches Urteilsver- mögen ein.“ Situationen fordern aber auch historisches Urteilsvermögen ein; allein gegenwartsbezogene Bildung genügt nicht, um sich zum Beispiel mit Ländern wie der Ukraine, Polen, Tschechien oder der Slowakei zu verständi- gen. Und natürlich müssen wir auch weiterhin versuchen zu verstehen, was in Russland passiert. 1991, im Jahr, an dessen Ende die Sowjetunion aufhörte zu existieren, waren Sie Sti- pendiat des DAAD bei der Rus- sischen Akademie der Wissen- schaften in Moskau. Wie ha- ben Sie diese Zeit erlebt? Schulze Wessel: Es war für mich eine sehr prägende Zeit, natürlich auch wegen der politi- schen Großereignisse. So habe ich etwa gesehen, wie Ende 1991 die Flagge der Sowjetuni- on am Kreml eingeholt wurde. Auch aus wissenschaftlicher Sicht war die Zeit am damaligen Institut für Slawenkunde und Balkanistik in Moskau hoch- interessant. Ich konnte in der Arbeitsgruppe eines herausra- genden Fachmannes über die Beziehungen zwischen Russ- land, der Ukraine und Polen im 19. Jahr hundert forschen. Es ging um Völkerfreundschaft und die Rekonstruktion der Verbindungen, die emanzipato- rische Bewegungen in den drei Ländern miteinander unter- hielten. Leider ist aktuell ein wissenschaftlicher Austausch mit Russland nicht möglich, da sich das Land für den militäri- schen Weg entschieden hat. — Lessons of the past Professor Martin Schulze Wessel, DAAD alumnus and one of the most renowned German experts on Eastern Euro- pean history, discusses the war in Ukraine. Professor Schulze Wessel, the Russian attack on Ukraine has been explained at least in part by Vladimir Putin’s view of his- tory. In your view, what role does history play in this war in Europe? Schulze Wessel: Vladimir Pu- tin believes history forms the framework for his war goals. He derives the idea that an inde- pendent state of Ukraine has no right to exist from a very particu- lar view of history. However, this can be contested by a narrative based on firm foundations: there was already a long tradition of in- dependent structures before the national history of the present state of Ukraine began over 30 years ago. In my opinion, the ear- ly modern era, when Ukraine was part of the Polish-Lithuanian aris- tocratic republic, is seminal. Dur- ing that period western structures LETTER 01/22

INTERVIEW became accepted in Ukraine – for example, opportunities for par- ticipation by the aristocracy and Western European town privil- eges. Ukraine gained experiences that differentiated it significantly from the Russian Tsarist Empire. You are co-chair of the Ger- man-Ukrainian Commission of Historians that was founded in February 2015 and receives DAAD funding. What has the commission achieved in the last seven years – and how will it continue in the future? Schulze Wessel: In recent years the German members of the Commission of Historians have learnt above all to view Ukraine in a much more wide- ranging way, going far beyond its history as part of the Tsarist Em- pire or the Soviet Union. One key area during the Soviet period is the focus on the Holodomor (“murder by starvation”) that was instigated by Stalin in the 1930s. The work of the commission has intensified as a result of the war. We regularly exchange views and also intend to cooperate with col- leagues at a Canadian research centre on a series of digital lec- tures. Furthermore, we are plan- ning a programme to preserve and archive Ukrainian cultural as- sets in cooperation with the Herd- er Institute for Historical Research on East Central Europe. What fundamental significance does the study of the history of Eastern and Central European countries have for current policy? Schulze Wessel: Foreign pol- icy is much more complex today than it was during the Cold War. That also applies to policy within the EU. The Eastern and Central European countries that have ac- ceded to the EU in recent years have introduced a totally new ele- ment into the union. For a long time now it has no longer sufficed for Germany to maintain relations with the USA and Russia, these in particular have proven to be un- stable. However, complex inter- national situations also call for historical judgement; on its own, study of the present is not enough to enable understanding, for example, with countries such as Ukraine, Poland, the Czech Republic or Slovakia. And of course we must also continue to try to understand what is happening in Russia. In 1991, the year in which the Soviet Union ceased to exist, you were a DAAD scholarship holder at the Russian Academy of Sciences in Moscow. How did you experience that period? Schulze Wessel: It was a very formative time for me – also, nat- urally, because of major political events. As a result, for example, I saw how the flag of the Soviet Union was taken down at the Kremlin. From an academic per- spective, too, this time at what was then the Institute for Slavic and Balkan Studies in Moscow was extremely interesting. I was able to do research on relations between Russia, Ukraine and Po- land in the 19th century in the workgroup of an outstanding expert. The focus was on inter- national friendship and the re- construction of ties that emanci- patory movements had with one another. Unfortunately, academic exchange with Russia is currently not possible because the country has decided to take a military course. — 9 “However, complex international situations also call for historical judgement.” LETTER 01/22

OVERVIEW 11 ie Welt steht vor immensen globalen Herausfor- derungen – sei es der Klimawandel, die nach wie vor schwelende Pandemie oder, ganz allge- mein gesprochen, all jene desaströsen atmo- sphärischen, biologischen oder geologischen Prozesse, welche die Menschheit im sogenann- ten Zeitalter des Anthropozäns durch ihr Verhal- ten selbst auslöst. Viele Expertinnen und Exper- ten sind sich sicher: Für eine Lösung braucht es eine „globale Verantwortungsgemeinschaft“, wie es der DAAD Ende Oktober 2021 in einem Strate- giepapier zur Außenwissenschaftspolitik der kommenden Jahre formuliert hat. „Wir erleben einen echten Epochenwechsel“, sagt Dr. Ursula Paintner, Direktorin der Abteilung Kommunika- tion im DAAD. Dieser Verantwortung begegnet der DAAD mit neuartigen internationalen Programmstruk- turen, die den so dringend benötigten Austausch auf Augenhöhe, besonders mit Ländern des Glo- balen Südens, fördern. Die 2021 gestarteten, ins- gesamt acht Globalen Zentren zu den Themen Klima und Umwelt sowie Gesundheit und Pan- demievorsorge sind dafür ein Beispiel. Aber ent- scheidend sind auch Programme, mit deren Hil- fe die historische Verantwortung Deutschlands und des Westens gegenüber anderen Regionen reflektiert werden kann. „Unser zentrales Ziel muss die ernsthafte, partnerschaftliche Zusam- menarbeit sein“, betont Ursula Paintner. „Und die kann im internationalen Austausch nur dann wirklich gelingen, wenn wir für unser ko- loniales Erbe sensibel werden. Nur dann ist es möglich, historisch geprägte Machtkonstellatio- nen zu überwinden.“ Dazu beitragen soll das neue DAAD-Pro- gramm German Colonial Rule. Seit Dezember 2021 werden neun Nachwuchswissenschaftlerin- nen und -wissenschaftler aus Staaten, die unter der deutschen Kolonialherrschaft gelitten ha- ben, mit Promotionsstipendien zur Aufarbei- tung der gemeinsamen Geschichte unterstützt. Geforscht wird an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie an den Universitäten Bonn, Düssel- dorf, Gießen, Kassel und Köln. Wichtig ist in diesem Kontext auch die Debatte um die Restitution von Kulturgütern. Die Rückgabe der in deutschen Museen lagernden Benin-Bronzen an Nigeria ist ein erster, be- deutender Schritt. Über die Restitution hinaus kann auch der Austausch auf fachlicher und institutioneller Ebene hilfreich sein, um neue Formen der Kooperation zu etablieren. Genau dies ist das Ziel des Projekts TheMuseumsLab, das der DAAD in Zusammenarbeit mit dem Ber- liner Museum für Naturkunde, der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, der afrikani- schen Beratergruppe The Advisors sowie einer Reihe weiterer Museen und Kultureinrichtun- gen ins Leben gerufen hat. Seit Mai 2021 unter- stützt TheMuseumsLab die Weiterbildung und Vernetzung von Fachkräften aus europäischen und afrikanischen Museen und leistet damit auch einen Beitrag zur Aufarbeitung der Kolonial geschichte. Wenn es um Erinnerungskultur aus deut- scher Perspektive geht, sind natürlich nach wie vor die zwei Weltkriege und die Diktatur des Na- tionalsozialismus wesentlich. Wie vielschichtig sich deutsche Erinnerungskultur bei der Auf- arbeitung der NS-Zeit inzwischen zeigt, darum geht es beim transatlantischen Programm Ger- many Close Up – North American Jews Meet Mo- dern Germany, das der DAAD seit März 2021 be- treut. Es richtet sich an jüdische Studierende und junge Berufstätige aus Nordamerika im Al- ter von 18 bis 39 Jahren, die sich ein eigenes Bild von der deutschen Geschichte und Gegenwart machen wollen. „Für den DAAD ist das Thema Erinnerungs- kultur auch deshalb zentral, weil unsere Gesell- schaft sich auch in einem erinnerungskulturel- len Umbruch befindet“, erklärt Ursula Paintner. Deshalb sei es so wichtig, einen guten Umgang mit der Vergangenheit zu finden. Gerade jetzt, da es bald keine Zeitzeugen für die Zeit des Nati- onalsozialismus mehr geben werde und Erinne- rung eine neue Form finden müsse, stärker do- kumentiert und institutionalisiert. „Geschichts- vergessenheit darf für uns keine Option sein.“ — LETTER 01/22 t d r a h b e G n a i t s i r h C - 4 9 h c s i b y B / a i d e p i i k W / l o t s n r E / a i d e p i i k W , e g r o e g i b e S / a i d e p i i k W , e t n e n i t n o K f n ü F m u e s u M : 0 1 . S

IM ÜBERBLICK The responsibility of remembrance Germany must face up to its historical responsibility as a dictatorship and colonial power if global academic exchange is to take place on the basis of equality. New DAAD programmes are making an important contribution to this. The world faces immense global challenges – whether climate change, the still smouldering pan- demic or, in very general terms, all those disastrous atmospheric, biological or geological processes that humankind is setting in motion through its actions in the epoch known as the Anthropocene. Many experts are sure that a solution requires a “global community of responsibility”, as the DAAD de- scribed it at the end of October 2021 in a strategy paper on foreign academic policy in the coming years. “We are experiencing real epochal change,” says Dr Ursula Paintner, Director of the Communica- tions Department in the DAAD. The DAAD is addressing this responsibility with new kinds of international programme struc- tures that promote this urgently needed exchange founded on equality, especially with the countries of the Global South. The eight Global Centres that were launched in 2021 and focus on climate and envir onment as well as health and pandemic pre- vention are just one example of this. Crucial here, however, are also programmes that will help en- able reflection on Germany’s and the West’s histor- ical responsibility towards other regions. “Our central goal must be serious cooperation based on partnership,” emphasises Ursula Paintner. “And this can only truly succeed in international ex- change when we show sensitivity about our colo- nial legacy. Only then is it possible to overcome historically moulded power constellations.” A new DAAD programme called German Colo- nial Rule should contribute to this. Since December 2021 nine junior researchers from countries that suffered under German colonial rule have been sup- ported with doctoral scholarships to reappraise 12 shared history. Research is being conducted at Humboldt-Universität zu Berlin as well as the uni- versities of Bonn, Cologne, Düsseldorf, Giessen and Kassel. What is also important in this context is the de- bate on the restitution of cultural assets. The return to Nigeria of the Benin Bronzes stored in German museums is a first, significant step. Above and be- yond restitution, however, exchange at the subject and institutional level can also help to establish new forms of cooperation. This is precisely the goal of a project called TheMuseumsLab, which the DAAD has set up in collaboration with Museum für Naturkunde in Berlin, HTW Berlin University of Ap- plied Sciences, the African advisory group The Ad- visors and a number of other museums and cultural institutions. Since May 2021 TheMuseumsLab has been supporting the further training and network- ing of specialists from European and African mu- seums and, as a result, is also contributing to a re- appraisal of colonial history. When it comes to remembrance culture (Erin- nerungskultur) from the German perspective, natu- rally the two world wars and the National Socialist dictatorship are fundamental. The complexity Ger- man remembrance culture now manifests in coming to terms with the Nazi era is the focus of Germany Close Up – North American Jews Meet Modern Ger- many, a transatlantic programme that the DAAD be- gan supporting in March 2021. It is aimed at Jewish students and young professionals from North Amer- ica between 18 and 39 years of age who want to form their own impressions of Germany’s past and present. “How to remember the past is also of central significance to the DAAD because our society finds itself at a turning point in remembrance culture,” explains Ursula Paintner. That is why it is so import ant to find a sound approach to the past – especially now, as there will soon be no living witnesses of the National Socialist era left and remembrance will have to find a new form, one that is more strongly documented and institutionalised. “Forgetting about history is not an option.” — LETTER 01/22 f i a l / n i e P s a e r d n A : 3 1 . S

Mit Museen die Zukunft gestalten TheMuseumsLab bringt Fachleute aus Afrika und Europa zum Austausch über drängende Fragen zusammen. Text: Miriam Hoffmeyer 14 ie können Museen tragfähige Zukunfts- konzepte entwickeln, wie den Wandel ihrer Gesellschaften aktiv mitgestalten? Mit die- sen Fragen befasst sich TheMuseumsLab, eine Plattform für gemeinsames Lernen und Wis- sensaustausch, die seit 2021 Fachleute aus Afri- ka und Europa zusammenbringt. „Das Spannen- de ist die Vielzahl der Perspektiven“, sagt die Programmkoordinatorin Meryem Korun vom Museum für Naturkunde Berlin. Pro Jahrgang nehmen insgesamt rund 50 Expertinnen und Ex- perten aus Afrika und Europa teil, die in Aus- stellungsarbeit, Wissenschaft oder der Verwal- tung verschiedener Museen, Galerien und Kulturerbestätten tätig sind. „Für Museen in Eu- ropa, die ihr koloniales Erbe aufarbeiten, steht häufig die Provenienzforschung im Mittelpunkt. In Afrika konzentriert sich die Diskussion hin- gegen auch darauf, was es für die Gesellschaften bedeutet, dass diese Objekte fehlen.“ Wie wich- tig es ist, die afrikanische Seite bei Diskussionen über die Rückgabe von Kulturgütern von Anfang an einzubeziehen, wird durch den Austausch bestätigt. Das Workshop- und Weiterbildungspro- gramm von TheMuseumsLab kombiniert digita- les Lernen mit Präsenzphasen in Berlin und Kapstadt sowie einem zweiwöchigen Gastaufent- halt in einem europäischen Museum. „Für mich war es faszinierend, mich mit dem kulturellen Erbe eines anderen Kontinents LETTER 01/22

ENGAGING IN EXCHANGE auseinanderzusetzen, eine andere Kultur live zu erleben“, erzählt Njeri Gachihi. Die wissen- schaftliche Mitarbeiterin der National Museums of Kenya hat im vergangenen Jahr an TheMuse- umsLab teilgenommen. Die Medizinanthropolo- gin, die auf indigenes Wissen spezialisiert ist, befasst sich aktuell mit Restitutionsfragen. „The- MuseumsLab war für mich auch eine Gelegen- heit, Museums- und Kultur erbefachleute mit ähnlichen Interessen zu treffen und mein Netz- werk zu erweitern“, sagt sie. Diese Kontakte hal- fen ihr auch bei der Erstellung einer Datenbank von Fachleuten für afrikanisches Kulturerbe, die sich für Restitutionsfragen interessieren. TheMuseumsLab wurde vom DAAD, dem Museum für Naturkunde Berlin und dem Mas- terstudiengang Museumsmanagement und -kommunikation der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin in enger Zusam- menarbeit mit der afrikanischen Beratergruppe The Advisors entwickelt. Zahlreiche afrikani- sche und europäische Museen und Kulturein- richtungen sind Partner des Programms, das vom Auswärtigen Amt finanziert wird. Meryem Korun ist überzeugt, dass der Austausch weiter- hin ertragreich sein wird: „Nach dem ersten Jahrgang gibt es schon viele Ideen zu Folgepro- jekten wie Workshops, Konferenzen und ge- meinsamen Ausstellungen.“ - Shaping the future with museums TheMuseumsLab brings experts from Africa and Europe together to engage in exchange on urgent issues. How can museums develop viable concepts for the future, and how can they actively help shape the transformation of their societies? These are the questions addressed by TheMuseumsLab, a plat- form for joint learning and knowledge sharing that has been bringing experts from Africa and Europe together since 2021. “What is exciting is the diversity of perspectives”, says the programme’s coordinator, Meryem Korun from the Museum für Naturkunde k c i m h c S a n e l A : 5 1 . S , b a L s m u e s u M e h T : 4 1 . S Teilnehmende aus Afrika und Europa tauschen sich Jahr für Jahr aus. Participants from Africa and Europe exchange ideas each year. 15 Berlin. Each year, around 50 experts in total from Africa and Europe take part; they are involved in ex- hibition work, research or the administration of the various museums, galleries and cultural heritage sites. “For museums in Europe that are critically en- gaging with their colonial legacy, provenance re- search is often the central focus. In Africa, on the other hand, discussions also explore what the ab- sence of these objects means for their societies.” The exchange confirms how important it is to in- volve the African side in discussions about the return of cultural assets from the outset. TheMuseumsLab’s workshop and continuing education programme combines digital learning with face-to-face phases in Berlin and Cape Town, as well as a two-week residency at a European museum. “I found it fascinating to engage with the cultural heritage of another continent, to experience another culture at first hand”, recounts Njeri Gachihi. A re- search scientist at the National Museums of Kenya, she took part in TheMuseumsLab last year. Gachihi LETTER 01/22

IM AUSTAUSCH is a medical anthropologist specialised in indigen- ous knowledge and is currently studying questions of restitution. “For me, TheMuseumsLab was also an opportunity to meet museum and cultural heritage experts with similar interests and to expand my net- work”, she says. These contacts also helped her create a database of specialists in African cultural heritage who are interested in restitution issues. TheMuseumsLab was developed by the DAAD, the Museum für Naturkunde Berlin and the master’s programme in museum management and communi- cation at the University of Applied Sciences (HTW) Berlin, in close cooperation with the African consult- ancy group The Advisors. Several African and Euro- pean museums and cultural institutions are partners with the programme, which is funded by the Ger- man Federal Foreign Office. Meryem Korun is convinced that the exchange will continue to bear fruit: “After the first year, there are already lots of ideas for follow-up projects such as workshops, conferences and joint exhibitions.” — 16 Intensive Gespräche im Museum für Naturkunde in Berlin. Intensive discussions in the Museum für Naturkunde in Berlin. Aufarbeitung deutscher Kolonial- geschichte Die deutsche Kolonialvergangen- heit hat in Teilen Afrikas ihre Spuren hinterlassen. Der Germanist Guy Armel Fogang Toyem aus Kame- run, Stipendiat des DAAD-Programms German Colonial Rule, erforscht sie. Illustration: Julian Rentzsch Herr Fogang Toyem, seit Ende März forschen Sie an der Humboldt-Universität (HU) Berlin. Was hat Ihr Interesse an der deutschen Kolonialzeit geweckt? Fogang Toyem: Die Folgen des deutschen, aber auch des LETTER 01/22

ENGAGING IN EXCHANGE britischen und französischen Kolonialismus sind bis heute in Kamerun spürbar. Noch immer wird das Land seiner Boden- schätze beraubt; zudem existie- ren Überreste von Gebäuden, Brücken und Eisenbahnlinien, die mithilfe von Zwangsarbeit errichtet wurden. Viele Men- schen in Kamerun schätzen al- lerdings die deutsche Kultur und sehen auch positive Aus- wirkungen der Kolonialzeit: Die aktuelle deutsch-kamerunische Zusammenarbeit hat sich dar- aus entwickelt. Welchen inhaltlichen Schwer- punkt setzen Sie in Ihrer Arbeit? Fogang Toyem: Ich erfor- sche insbesondere den institu- tionellen Aufbau des Gesund- heitswesens sowie die Ziele der Gesundheitspolitik unter den Kolonialherren. Ihnen ging es nicht um den Schutz der afri- kanischen Zivilbevölkerung, sondern um ihre eigene Ge- sundheit und den Erhalt der Kolonialverwaltung. Tropen- krankheiten gefährdeten den kolonialen Auftrag, also wirt- schaftliche oder militärische Vorhaben. Ohne die Förderung des DAAD wäre mein Projekt nur schwer umzusetzen. In Ka- merun ist das Studium sehr teuer, zudem ist es schwierig, Zugang zu Büchern zu erhal- ten. In Berlin habe ich die Möglichkeit, mit meiner Pro- motion Forschungslücken zu schließen und damit den Men- schen in Kamerun verständlich zu machen: Echte Kooperation kann nur auf Augenhöhe funk- tionieren. — k c i m h c S a n e l A : 6 1 . S Researching Germany’s colonial past The impact of Ger- many’s colonial era is still evident in some parts of Africa. The Ger- manist Guy Armel Fogang Toyem from Cameroon, a scholar- ship holder on the DAAD’s German Colonial Rule programme, has been researching its effects. Mr Fogang Toyem, you have been conducting research at Humboldt-Universität (HU) in Berlin since the end of March. What got you interested in Germany’s colonial era? Fogang Toyem: The conse- quences of German, British and French colonialism are still evi- dent in Cameroon to this day. The country is still being plun- dered for its natural resources; what is more, the remains can still be seen of buildings, bridges and railway lines that were con- structed with the help of forced labour. Having said that, many people in Cameroon value Ger- man culture and also see some positive effects of the colonial period: it gave rise after all to the German-Cameroonian cooper- ation that we have today. What is the main focus of your work? Fogang Toyem: I am re- searching the institutional estab- lishment of the healthcare system and the objectives of healthcare policy under colonial rule. It would be difficult to pur- sue my project without the fund- ing I receive from the DAAD. Studying is very expensive in Cameroon, and it is also hard to get access to books. In Berlin I have the chance to plug some re- search gaps with my PhD and make it clear to the people in Cameroon that genuine coopera- tion can only function if it takes place on an equal footing. — GERMAN COLONIAL RULE Mit dem vom Auswärtigen Amt finanzierten Stipendien- programm German Coloni- al Rule fördert der DAAD die Aufarbeitung deutscher Ko- lonialherrschaft und schafft gleichzeitig eine Basis für künftige Wissenschaftsko- operationen: Promovieren- de aus Burundi, Kamerun, Namibia, Ruanda, Tansania und von den Philippinen forschen in Deutschland – und werden von Univer- sitäten dieser Länder und deutschen Hochschulen gemeinsam betreut. GERMAN COLONIAL RULE Through its German Colonial Rule scholarship programme, which is financed by the Fed- eral Foreign Office, the DAAD funds research into Germa- ny’s colonial past and paves the way for future academic collaboration: doctoral stu- dents from Burundi, Cam- eroon, Namibia, Rwanda, Tanzania and the Philippines conduct research in Germany – with the supervision and support of universities in these countries and of higher education institutions in Germany. LETTER 01/22 17

ENGAGING IN EXCHANGE Igor und Marina Rozenblyum aus New York waren neugierig auf das moderne Deutschland. Igor and Marina Rozenblyum from New York were curious about modern-day Germany. 19 ie leben Jüdinnen und Juden heute in Deutsch- land? Wie geht die Bundesrepublik mit dem dun- kelsten Kapitel der deutschen Geschichte, dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust, um? Einen Einblick in die deutsche Erinnerungskul- tur, aber auch zu aktuellen Fragen von Kultur und Politik gibt das Programm Germany Close Up – North American Jews Meet Modern Germany, das der DAAD seit März 2021 betreut. In Koopera- tion mit jüdischen Partnerorganisationen in Nordamerika lädt das Programm zu einer rund zehntägigen Exkursion nach Berlin und in andere deutsche Städte ein. Teilnehmen können jüdische Studierende und Berufstätige im Alter von 18 bis 39 Jahren mit US-amerikanischer oder kanadi- scher Staatsbürgerschaft. „Das Besondere an Germany Close Up ist, dass die meisten Gruppen mit einer gewissen Zurückhaltung nach Deutschland kommen“, sagt Programmleiterin Kathleen Gransow. „In- nerhalb der jüdischen Bevölkerung der USA und Kanadas existieren immer noch große Vor- behalte gegenüber Deutschland, die stark von den Kriegserlebnissen und dem Holocaust ge- prägt sind.“ Mittlerweile sei aber auch ein Wan- del spürbar, und die Stimmen würden diverser. „Einige tragen die Skepsis noch mit sich und möchten im Grunde keine Beziehung zur Bun- desrepublik haben, andere allerdings sehen Deutschland mittlerweile als Vorreiter im Kampf gegen Antisemitismus in der Europä- ischen Union.“ Mit dem Besuch eines ehemaligen Konzentra- tionslagers, des Denkmals für die ermordeten Juden Europas und des Jüdischen Museums in Berlin taucht die Exkursion tief in den Holo- caust und die Zeit des Nationalsozialismus ein. Andere Aktivitäten zeigen das wiedervereinte und moderne Deutschland – und ermöglichen einen lebendigen Dialog mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Politik und der jü- dischen Gemeinde. „Wir geben dabei kein spezi- elles Bild von Deutschland vor, sondern regen dazu an, mithilfe der Begegnungen und Erleb- nisse zu einer persönlichen Ansicht zu kom- men“, sagt Gransow. Nach einer coronabedingten Unterbre- chung besuchte im Oktober 2021 erstmals wie- der eine Gruppe jüdischer Gäste Deutschland mit Germany Close Up. In Zusammenarbeit mit dem Council of Jewish Émigré Community Organizations (COJECO) reisten 18 US-Amerika- nerinnen und -Amerikaner, deren Wurzeln in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion lie- gen, nach Berlin und Frankfurt am Main. „Viele von ihnen sind während der 1990er-Jahre als Kinder oder Jugendliche in die USA ausgewan- dert oder kurz nach der Ankunft ihrer Eltern dort geboren worden“, erläutert Gransow. „Zu ihren Vorfahren zählen nicht nur Holocaust- Überlebende, sondern oft auch Soldaten der Roten Armee.“ Mit dabei war Igor Rozenblyum, der in der Ukraine zur Welt kam und seit 22 Jahren in Brooklyn, New York lebt. „Ich war LETTER 01/22 t a v i r p : 9 1 . S , o t o h P k c o t S y m a l A / o k o J / e n i l n o - r u t n e g a d l i B : 8 1 . S

IM AUSTAUSCH neugierig auf das moderne Deutschland und wollte dessen Haltung gegenüber Jüdinnen und Juden aus den ehemaligen Sowjet-Ländern und Israel kennenlernen“, sagt er. „Die vielen Ge- spräche, vor allem mit den Tourguides, haben mich sehr gefreut. Es war interessant zu sehen, wie die Menschen leben und alltägliche Dinge erledigen.“ Am vielseitigen Programm der Exkursion beeindruckte Rozenblyum insbesondere die Auseinandersetzung mit den Themen Krieg und Verfolgung. „Der Besuch im Konzentrationsla- ger Sachsenhausen hat mich mental gefordert, obwohl ich nicht das gespürt habe, was ich er- wartet hatte zu fühlen“, sagt er. Eine tiefe Ver- bindung habe er allerdings am Mahnmal Gleis 17 in Berlin empfunden: Der zentrale Gedenkort am Bahnhof Grunewald erinnert an die Depor- tationen jüdischer Bürgerinnen und Bürger mit der Reichsbahn. Intensive Gespräche, Raum für Kritik sowie Offenheit für gegensätzliche Ansichten und Fragen: „Zahlreiche Teilnehmerinnen und Teil- nehmer bezeichnen die Exkursion am Ende als transformatives Erlebnis“, erzählt Gransow. „Einige möchten ihre Familie überzeugen, auch nach Deutschland zu reisen, andere ent- schließen sich beispielsweise für ein Studium an einer deutschen Hochschule – das ist für uns ein großes Lob.“ Auch Rozenblyum möchte nach Deutschland zurückkehren und weitere Städte besuchen. „Mich hat das Land begeis- tert, insbesondere die zahlreichen Programme zur Aufklärung der Menschen über den Zweiten Weltkrieg“, sagt er. „Ich bin der An- sicht, dass die Bundesrepublik sehr viel un- ternimmt, damit sich die Geschichte niemals wiederholt.“ - “A transformative experience” Germany Close Up – North American Jews Meet Modern Germany offers an opportunity to experience the many facets of Germany. This transatlantic programme is aimed at Jewish students and young professionals from North America. What is life in Germany like for Jews today? How does the country deal with the darkest chapter in its history – the Second World War and the Holocaust? Germany Close Up – North American Jews Meet Mod- ern Germany, a programme that the DAAD has been responsible for since March 2021, gives insights into 20 Das Mahnmal Gleis 17 in Berlin: Die Gruppe setzte sich intensiv mit der deutschen Geschichte auseinander. The Gleis 17 memorial in Berlin: the group engages intensively with German history. LETTER 01/22

ENGAGING IN EXCHANGE Germany’s culture of remembrance, as well as into topical issues relating to culture and politics. In co- operation with Jewish partner organisations in North America, the programme arranges an excursion of around ten days to Berlin and other German cities. Jewish students and young professionals aged 18 to 39 who have US or Canadian citizenship are eligible to take part. “What is special about Germany Close Up is that most groups come to Germany with a certain reti- cence”, says Programme Director Kathleen Gransow. “Considerable reservations about Germany still exist within the Jewish communities of the USA and Cana- da, reservations that are shaped to a large extent by the ex periences of war and the Holocaust.” She adds that things are gradually changing now, however, and that opinions are becoming more diverse. “While some still carry this scepticism around with them and basically do not want any kind of relationship with Germany, others now view the country as a pioneer in the fight against anti-Semitism within the European Union.” By including visits to a former concentration camp, the Memorial to the Murdered Jews of Europe and the Jewish Museum in Berlin, the excursion delves deeply into the Holocaust and the Nazi era. Other activities showcase the reunited and modern Germany – and bring about a lively dialogue with representatives of academia, politics and the Jewish community. “We do not paint any specific picture of Germany but rather encourage participants to arrive at their own personal opinions through their encoun- ters and experiences”, Gransow says. In October 2021, a group of young Jews visited Germany with Germany Close Up again for the first time since the programme had been suspended due to the coronavirus pandemic. In co operation with the Council of Jewish Émigré Community Organiza- tions (COJECO), 18 US citizens who have roots in the countries of the former Soviet Union travelled to Berlin and Frankfurt am Main. “Many of them emi- grated to the US as children or adolescents during the 1990s, or were born there shortly after their parents arrived”, explains Gransow. “Among their ancestors are not only Holocaust survivors but in many cases also Red Army soldiers.” One of the guests was Igor Rozenblyum, who was born in Ukraine and has been living in Brooklyn, New York for 22 years. “I was curious about modern-day Germany and wanted to see what its attitude is to Jews from the former Soviet countries and Israel”, he says. “I was very pleased by the many t a v i r p : 1 2 . S , t a v i r p , m u y l b n e z o R r o g I : 0 2 . S Die Exkursionen führten zu Gedenkorten, luden aber auch immer wieder zu aktiven Diskussionen ein. The excursions visit memorial sites, but also sparked frequent active discussions. 21 discussions we had, especially with the tour guides. It was interesting to see how people live and handle everyday things.” What impressed Rozenblyum particularly about the excursion’s diverse programme was the focus on the subjects of war and persecution. “The visit to the Sachsenhausen concentration camp stressed me psychologically, though I did not feel what I had ex- pected to feel”, he recounts. He did feel a deep sense of connection at the Gleis 17 memorial in Berlin, on the other hand: this central memorial site at the city’s Grunewald station remembers those Jewish citizens who were deported by train. Intensive discussions, room for criticism and an openness to opposing views and questions: “By the end, numerous participants describe the excursion as a transformative experience”, explains Gransow. “Some are keen to persuade their families to travel to Germany too, while others decide for example to study at a German university – that is a great en- dorsement for us.” Rozenblyum also wants to return to Germany and visit other cities. “I really liked the country, especially its numerous programmes that educate people about the Second World War”, he says. “In my view, Germany does a great deal to en- sure that history never repeats itself.” — LETTER 01/22

IM AUSTAUSCH Erinnerungs- arbeit für den Frieden Das Deutsch-Kolumbianische Friedensinstitut CAPAZ setzt sich für die Aufarbeitung des jahrzehntelangen Konflikts in dem südameri- kanischen Land ein. Text: Miriam Hoffmeyer Im November 2016 endete der bürgerkriegsähnli- che Konflikt in Kolumbien zwischen der Regie- rung und der FARC-Guerilla (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens). Doch ist der Friedens- prozess längst nicht abgeschlossen; in einigen Regionen verüben paramilitärische Gruppen, Dissidentinnen und Dissidenten der FARC und Kämpfende der marxis- tisch ausgerichteten ELN (Ejér- cito de Liberación Nacional – Nationale Befreiungs- armee) weiterhin Gewalt- taten. „Frieden muss in der Gesellschaft veran- kert sein“, sagt Profes- sor Stefan Peters. Der Friedensforscher an der Justus-Liebig- Universität Gießen (JLU) leitet das Instituto Colombo-Alemán para la Paz (CAPAZ), das 2017 von zehn kolumbianischen und deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen ge- gründet wurde und als eines von fünf Exzellenz- zentren weltweit durch den DAAD aus Mitteln des Auswärtigen Amts gefördert wird. Mit bi- und internationalen Forschungsprojekten trägt das Institut zur Aufarbeitung der gewalt- samen Vergangenheit und zum Friedensprozess bei. Wichtiger Teil des Prozesses ist die kolumbi- anische Wahrheitskom mission, für die von den Forschenden am CAPAZ verschiedene Opfer- perspektiven des Konflikts erarbeitet werden – nach Geschlecht, Ethnie und sozialer Herkunft. Auch Wissenstransfer ist eine zentrale Auf- gabe des Instituts. „Die Wissenschaft muss den Mut haben, in den Dialog mit der Gesellschaft einzutreten – und dabei auch denen zuzuhören, die nicht wissenschaftlich argumentieren“, meint Stefan Peters. Durch die Förderung einer lebendigen politischen Debatte könne die Wis- senschaft den Friedensprozess ganz praktisch voranbringen. Mit seinen Veranstaltun- gen – Vorlesungsreihen, Work- shops, virtuelle Zertifikats- kurse und Diskussionen – wendet sich das CAPAZ nicht nur an kolumbiani- sche und deut- sche Studie- rende, son- dern auch an ehemalige Gue- rillakämpfer, Opfergruppen, Militärs, Nichtre- gierungsorganisa- tionen und Behör- den. Darüber hinaus sollen Lehrkräfte, Me- dienschaffende und Ju- gendliche angesprochen werden. So stand 2022 bei einem Science-Slam die mu- sikalische Auseinanderset- zung mit der Vergangenheit im Mittelpunkt. Aktuell berät das CAPAZ die Produktion einer Telenovela, die die Ergeb- nisse der Wahrheitskommission einem breiten Publikum vermitteln soll. LETTER 01/22

ENGAGING IN EXCHANGE Nach der Veröffentlichung des Berichts der Wahrheitskommission Ende Juni rechnet Stefan Peters mit neuen Diskussionen: „Angesichts der zu erwartenden heftigen Reaktionen der politi- schen Rechten und auch Teilen der Linken wird die Herausforderung, eine Debatte jenseits von Polemik zu ermöglichen, dann noch größer.“ In Zusammenarbeit mit kolumbianischen Kunst- schaffenden plant das CAPAZ im Juli Veranstal- tungen auf der Documenta in Kassel und will den Bericht so einem internationalen Publikum nahebringen. — Remembrance work for the sake of peace The German-Colombian Peace Insti- tute CAPAZ is committed to critically examining the decades-long conflict in the South American country. The conflict in Colombia, which was akin to civil war, between the government and the guerrilla or- ganisation FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Revolutionary Armed Forces of Colombia) ended in November 2016. The peace process is far from complete, however; paramilitary groups, FARC dissidents and fighters from the Marxist-oriented ELN (Ejército de Liberación Na- cional – National Liberation Army) are still commit- ting acts of violence in some regions. “Peace must be firmly anchored in society”, says Professor Stefan Peters. A peace researcher at Justus Liebig Univer- sity Giessen (JLU), he is the director of the Instituto Colombo-Alemán para la Paz (CAPAZ), which was established in 2017 by ten Colombian and German universities and research institutions and is one of five centres of excellence worldwide to be support- ed by the DAAD with funding from Germany’s Feder- al Foreign Office. By running bi- and international research projects, the institute contributes to a criti- cal examination of Colombia’s violent past and to the ongoing peace process. An important part of the process is the Colombian Truth Commission, on whose behalf the researchers at CAPAZ analyse the various perspectives of victims of the conflict g n i s e i h T a n n a H : 3 2 . S 23 Kreative Auseinandersetzung mit der Vergangenheit – der CAPAZ Science-Slam in Medellín. Creative examination of the past – the CAPAZ Science Slam in Medellín. – according to gender, ethnicity and social back- ground. Knowledge transfer is also one of the institute’s central objectives. “Researchers must have the cour- age to enter into a dialogue with society – and also to listen to those who do not argue academically”, says Stefan Peters. By fostering a lively political debate, he believes that academics can play a highly prac tical role in driving forward the peace process. With its events – lecture series, workshops, virtual training courses and discussions – CAPAZ addresses not only Colombian and German students, but also former guerrilla fighters, victims’ groups, militants, NGOs and authorities. In addition, it reaches out to teach- ers, media professionals and young adults. In 2022, for example, a science slam was held at which music was used as a means of coming to terms with the past. CAPAZ is currently advising on the production of a telenovela that is intended to convey the find- ings of the Truth Commission to a wider public. Following publication of the Truth Commis- sion’s report at the end of June, Stefan Peters ex- pects new discussions to flare up: “In view of the strong reactions that are likely from those on the right of the political spectrum, and to some extent from those on the left, it will become an even great- er challenge to facilitate a debate that goes beyond mere polemics.” In collaboration with Colombian artists, CAPAZ is planning events at the Documenta in Kassel in July with a view to making the report available to an international audience. — LETTER 01/22

FOOD FOR THOUGHT 25 m 4. Mai 2021 fand in Mexiko ein doppelter Ge- denktag statt. An diesem Tag bat der mexikani- sche Präsident López Obrador das Volk der Maya offiziell um Entschuldigung für die Verbrechen, die seit der Eroberung ihres Landes durch die Spanier an ihnen verübt wurden. Er erinnerte im 500. Jahr der spanischen Invasion an das Leid der Ureinwohnerinnen und -einwohner, das ihnen während der drei Jahrhunderte der kolonialen Herrschaft Spaniens, aber auch während der zwei Jahrhunderte seit der Unabhängigkeit Mexi- kos angetan worden ist. Koloniale und postkolo- niale Demütigung und Gewalt addierten sich zu einer 500-jährigen Unterdrückungsgeschichte. Der Präsident betonte dabei, dass diese Geschich- te in Form von Rassismus und Diskriminierung immer noch Gegenwart ist. sollte. Seine Kuppel ziert jedoch eine goldene Inschrift auf blauem Grund, die damit schwer zu vereinbaren ist: „Es ist kein ander Heil, es ist auch kein anderer Name den Menschen gege- ben, denn der Name Jesu, zu Ehren des Vaters, daß im Namen Jesu sich beugen sollen aller de- rer Kniee, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“ Dieser vollmundige, aber in dieser Form auch völlig unverständliche Auf- ruf geht auf König Friedrich Wilhelm IV. zurück. Heute ist er nicht nur peinlich, sondern auch ein Skandal und steht als offener Affront für Nichtchristen im Raum. Deshalb war es an Bundespräsident Frank- Walter Steinmeier, diesem Motto des Gebäudes in seiner Einweihungsrede der Ethnologischen Sammlung im September 2021 etwas entgegen- „Wir haben gerade die Chance, etwas über unsere Geschichte dazuzulernen, indem wir mit den Augen derer auf sie blicken, die nicht hier geboren sind, aber deren Vorfahren unter ihr gelitten haben.“ Nicht nur in Mexiko gibt es gute Gründe, sich an diese 500 Jahre zu erinnern. Um 1520 entstan- den von Europa aus mit Entdeckungen und Er- oberungen ganz neue, weltumspannende Macht- und Handlungsräume. Durch den Auf- bau eines Dreieckshandels mit Rohstoffen und Versklavten zwischen Europa, den Amerikas und Afrika gelangten europäische Bürgerinnen und Bürger, Städte und Nationen zu unermessli- chem Reichtum und globaler Dominanz. Diese Geschichte ist lange her, aber in Spu- ren und Relikten noch mit Händen zu greifen und auch im deutschen Stadtbild verankert. In der Mitte Berlins zum Beispiel wurde das Schloss wiederaufgebaut, mit integriertem Humboldt Forum, das eigentlich ein Symbol für Weltoffenheit werden und die Botschaft „die Welt zu Gast bei Freunden“ transportieren zusetzen. Er verwies auf den tiefgreifenden de- mografischen Wandel, der mit Globalisierung und Migration verbunden ist: „Menschen aus al- len Teilen der Welt leben heute in Deutschland, sind vielfach Deutsche geworden. Sie gehören zu dem, was heute ‚deutsch‘ bedeutet. Sie sind nicht Menschen mit Migrationshintergrund – wir sind ein Land mit Migrationshintergrund!“ Vor diesem Hintergrund sprach er von einer his- torischen Zäsur und einer großen Aufgabe. Das Humboldt Forum sei „kein Ort der Selbstverge- wisserung, sondern der Selbstbefragung. (...) Es ist kein Schlussstein, sondern erst der Anfang einer globalen Veränderung, denn die Welt- kulturen sind angekommen, aber das gleich in einem doppelten Sinne: hier drinnen im Humboldt Forum und da draußen, vor den monumentalen Fassaden.“ LETTER 01/22

ZUM NACHDENKEN Wir Deutschen befinden uns gerade an einer neuen Schwelle unseres Geschichtsbewusst- seins und unserer Erinnerungskultur. Das be- deutet: Wir haben gerade die Chance, etwas über unsere Geschichte dazuzulernen, indem wir mit den Augen derer auf sie blicken, die nicht hier geboren sind, aber deren Vorfahren unter ihr gelitten haben. Apropos Perspektivenwechsel. Im Sommer 2021 ist von Mexiko aus eine siebenköpfige Crew losgesegelt. 500 Jahre nach Christoph Ko- lumbus nahm ihr Schiff „La Montaña“ Kurs auf Europa. In 50 Tagen und Nächten hat diese Gruppe indigener Aktivistinnen und Aktivisten der „zapatistischen“ Autonomiebewegung den Atlantik überquert. Ihre Botschaft lautet „Auf- wachen“ und richtet sich gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg. Sie kämpfen für ei- ne andere Perspektive auf die 500-jährige Ge- schichte und erinnern die Europäerinnen und Europäer daran, dass Mexiko nie entdeckt und auch nicht er- obert worden ist. Ihre umgekehrte 26 Invasion nennen sie „Reise für das Leben“. Ihr Motto passt auch gut für den DAAD, denn sie machen sich mit Europäerinnen und Europä- ern zusammen auf die Suche nach dem, „was Menschen zu Gleichen macht“. — Change of perspective Professor Aleida Assmann responds to the question of how the view of colonial history is changing Western remembrance culture. It was a double day of remembrance in Mexico on 4 May 2021. On that date Mexico’s President López Obrador officially apologised to the Maya peoples for the crimes that had been committed against them by the Spaniards since the conquest of the country. In the 500th year after the Spanish invasion he remem- bered the suffering that had been inflicted on the in- digenous population not only during the three centu- ries of Spain’s colonial rule, but also during the two centuries since Mexico’s independence. Colonial and post-colonial humiliation and vio lence added up to a 500-year history of oppression. The president em- phasised here that this his tory is still present in the form of racism and discrimination. There are good reasons to remember these 500 years – not only in Mexico. Totally new global spaces of power and action arose on the basis of discover- ies and conquests emanating from Europe in around 1520. European citizens, towns and nations acquired immeasurable wealth and global dom- inance as a result of the growth of the triangular trade in raw materials and slaves between Europe, the Americas and Africa. Although this period of history is a long time ago, we can still tangibly hold it in our hands in the shape of remains and relics, and it is also embed- ded in the German urban landscape. In the centre of Berlin, for example, the Berlin Palace has been re- constructed with the Humboldt Forum forming an integral part of it, an institution actually intended to become a symbol of cosmopolitanism and convey the message “the world at home among friends”. Its dome, however, is decorated with a golden LETTER 01/22

FOOD FOR THOUGHT inscription on a blue background that is difficult to reconcile with that idea: “Neither is there salvation in any other, there is none other name given among men, but the name of Jesus, in honour of the Fa- ther, that in the name of Jesus they shall all bow down on bended knee that are in Heaven and on Earth and under the Earth.” This grandiose invoca- tion, totally incomprehensible in this form, stems from King Frederick William IV. Today it is not only embarrassing, but also reprehensible, and stands as an open affront to non-Christians. That is why Federal President Frank-Walter Stein- meier had to say something about the building’s mot- to in his inaugural speech for the Ethno logical Collec- tion in September 2021. He referred to the profound demographical transformation associated with glo- balisation and migration: “Today people from all parts of the world live in Germany and in many cases indigenous ac- tivists from the Zapatista autonomy movement crossed the Atlan- tic. Their message was “Wake up” and was directed against exploitation, oppres- sion and war. They are fighting for a different per- spective on this 500-year history and remind Euro- peans that Mexico was never discovered and not “We now have the opportunity to learn something new about our history by looking at it through the eyes of those who were not born here, but whose ancestors suffered as a result of it.” 27 have become German. They are part of what ‘Ger- man’ means today. They are not people with migrant backgrounds – we are a country with a migrant back- ground!” Against this background he spoke of a his- toric turning point and a great responsibility. The Humboldt Forum is “not a place of self-assertion, but of self-questioning. (...) It is not a capstone, but only the beginning of a global transformation, because the cultures of the world have arrived, and that in a two- fold sense: here inside the Humboldt Forum and there outside, before the monumental facades.” We Germans now find ourselves at a new threshold of our historical awareness and our re- membrance culture. That means: we now have the opportunity to learn something new about our his- tory by looking at it through the eyes of those who were not born here, but whose ancestors suffered as a result of it. And speaking of a change of perspective: in summer 2021 a seven-member crew set sail from Mexico. Five hundred years after Christopher Columbus, their ship La Montaña set course for Europe. In 50 days and nights this group of conquered. They called their invasion in reverse a Journey for Life. Their motto would also be fitting for the DAAD. They are on a quest with Europeans to find “what makes people equals”. — PROF. DR. ALEIDA ASSMANN ist Anglistin, Ägyptologin und Kultur- wissenschaftlerin. Sie beschäftigt sich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit intensiv mit der Thematik des kulturellen Gedächtnisses, mit Erinnerung und Vergessen. Als Gastprofessorin hat Aleida Assmann diese Forschung auch weltweit vorgestellt, unter anderem während einer vom DAAD geförderten Kurzzeitdozentur in Japan 1998. PROFESSOR ALEIDA ASSMANN is an English studies specialist, Egyptologist and cultural scholar. In her academic work she deals intensely with the theme of cultural memory, with remembering and forgetting. Aleida Assmann has also presented this research worldwide as a visiting professor, including, among others, during a DAAD-funded temporary lectureship in Japan in 1998. f i a l / m h a S n a h p e t S : 7 2 . S LETTER 01/22

JUST ASKING o schrecklich gegenwärtig der Krieg in der Ukraine ist: Er ist auch ein Kampf um die Historie. Der völker- rechtswidrige russische Angriff stützt sich unter anderem auf eine fatale Fehldeutung der Geschichte. Die vom Kreml propagierten Kriegsziele reichen von der Vertreibung angeblicher Nazis bis zum Anknüpfen an alte sowjetische Größe. Dabei wird aber die historisch gewachsene Eigenstän- digkeit der Ukraine ignoriert. Dieser Krieg in Europa erinnert uns mahnend daran, wie wich- tig ein wacher Blick auf den Lauf der Geschichte ist. Den „postsowjetischen Raum“ haben wir aus westeuropäischer Perspektive lange Zeit zu sehr als eine Einheit betrachtet und dabei oft unnötig auf Russland verengt. Der DAAD hat nach dem russischen Angriff direkt und unmissverständlich klargemacht, dass seine Solidarität der Ukraine gilt. Mit zahl- reichen konkreten Maßnahmen stehen wir an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer, um ihnen trotz Krieg und Vertreibung wissenschaft- lichen Austausch und Perspektive zu ermög- lichen. Selbst angesichts katastrophaler Umstände bleibt es Aufgabe der Wissenschaft, sich für den offenen, forschenden Blick einzusetzen. Im März hat das DAAD-Kompetenzzentrum Inter- nationale Wissenschaftskooperationen einen Policy Talk zum Thema „Science Diplomacy in Kriegszeiten: Was tun für die Ukraine, wie wei- ter mit Belarus und Russland?“ organisiert. Wir verlieren Belarus und Russland nicht aus dem Blick und hoffen in beiden Ländern auf die Kraft von Wissenschaft und Zivilgesellschaft, auch wenn derzeit an einen Austausch wie vor Kriegs- beginn nicht zu denken ist. Wir wollen denjenigen Unterstützung bie- ten, die diese aktuell besonders benötigen. Der DAAD hat das Hilde Domin-Programm explizit für geflüchtete Studierende aus der Ukraine und Russland ausgeweitet. Das bereits 2017 gestarte- te Programm zur Unterstützung der Internatio- nalisierung ukrainischer Hochschulen flexibili- sieren wir, damit geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer von bestehenden Projekten profitieren können. Mit der neuen vom BMBF geförderten Pro- grammlinie Ukraine digital: Studienerfolg in Krisenzeiten sichern unterstützen wir deutsche Hochschulen in Zusammenarbeit mit „Der Lauf der Geschichte fordert unser Engage- ment: Wir wollen es für die Zukunft einer freien Ukraine leisten.“ ukrainischen Partnerorganisationen dabei, ein digitales Lehrangebot zu machen, um Studieren- den sowie Wissenschaftlerinnen und Wissen- schaftlern in und aus der Ukraine eine Perspek- tive für die Fortführung ihrer akademischen Laufbahn zu geben. Zur Beratung und Orientie- rung ukrainischer Studierender und Forschen- der haben wir die Nationale Akademische Kon- taktstelle Ukraine eingerichtet und das Pro- gramm Integra wird für die Integration von stu- dierfähigen internationalen Geflüchteten aus der Ukraine ins Fachstudium ausgeweitet. Der Lauf der Geschichte fordert unser Engagement: Wir wollen es für die Zukunft einer freien Ukrai- ne und einer freien Wissenschaft leisten. - Support for Ukraine DAAD President Professor Joybrato Mukherjee on the historical responsi- bility for Ukraine and the commitment to free academic exchange. As terrible as the present war in Ukraine is, it is also a struggle about history. The illegal Russian attack is based, among other things, on a disastrous misinter- pretation of history. The war aims propagated by the Kremlin range from the expulsion of alleged Nazis to a return to former Soviet greatness. In the process, however, the historically established independence of Ukraine is ignored. This war in Europe warns us of how important it is to keep a watchful eye on the course of history. From the Western European per- spective we long saw the “post-Soviet space” too much as a single unit and often unnecessarily limit- ed our view to Russia. LETTER 01/22 f i a l / s e g a m I s i r a l o P : 8 2 . S 29

AUF EIN WORT Following the Russian attack, the DAAD made imme- diately and unambiguously clear that its solidarity is with Ukraine. We are standing by the Ukrainians with numerous concrete measures to enable them to maintain academic exchange and perspectives in spite of war and expulsion. Even in the face of catastrophic circumstances it remains the duty of science to support an open-minded, analytical view. In March the DAAD Competence Centre for International Academic Cooperation organised a policy discussion on the subject “Science Diplomacy in Wartime: What is to be done for Ukraine, how to proceed with Belarus and Russia?”. We are not losing sight of Belarus and Russia, but are putting our hopes on the power of science and civil society in both countries, even if the level of exchange before the war is inconceivable at present. We want to offer support to those who especially need it at this time. The DAAD has ex- panded the Hilde Domin Programme explicitly for students who have fled from Ukraine and Russia. We are making the programme, which was first launched in 2017, more flexible to support the internationalisation of Ukrainian universities so that Ukrainian refugees can benefit from existing projects. “The course of history demands our engage- ment: we want to provide it for the future of a free Ukraine and free research.” We are supporting German universities in cooper- ation with Ukrainian partner organisations through the new BMBF-funded programme line Ukraine digital: Studienerfolg in Krisenzeiten sichern in order to offer digital courses that give students and re- searchers in and from Ukraine the prospect of con- tinuing their academic careers. We have set up the National Academic Contact Point Ukraine to provide advice and guidance for Ukrainian students and re- searchers. Furthermore, the Integra programme is being expanded to allow the integration of suitably qualified international refugees from Ukraine into higher education courses. The course of history demands our engagement: we want to provide it for the future of a free Ukraine and free research. — 30 DAAD-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee: „Wir wollen den- jenigen Unterstützung bieten, die diese aktuell besonders benötigen.“ DAAD President Professor Joybrato Mukherjee: “We want to offer support to those who especially need it at this time.” LETTER 01/22 t o G g n o S : 1 3 . S , n n a m r e t a R s a n o J : 0 3 . S

JUST ASKING IN AK TI ON IN ACTION Auf den nächsten Seiten treffen Sie DAAD-Alumnae und -Alumni, in deren künstlerischer und wissenschaftlicher Arbeit die Vergangenheit sehr gegen- wärtig ist. Volecat at faceprae occum que poriasi debis eateces ecature mint laut lania dolessitas. Volecat at faceprae occum que poriasi debis eateces ecature mint laut lania dolessitas. The past is very present in the artistic and academic work of the DAAD alumnae and alumni you will encounter in the following pages. 31 Künstlerin Don Mee Choi stellte ihre Arbeit 2020 in der daadgalerie vor. Artist Don Mee Choi presented her work 2020 at the daadgalerie.

IN AKTION Mission: Erinnern Die vielfach ausgezeichnete koreanisch-amerikanische Dichterin und Übersetzerin Don Mee Choi spricht über sanktionierte Amnesie und ein bewegendes Beispiel für Erinnerungskultur. Interview: Judith Reker Fotos/photographs: Song Got 32 Frau Choi, Sie haben einmal gesagt: „Ich stelle mir oft die Frage: Setzt meine Kunst das historische Vergessen fort?“ Choi: Ich stelle mir diese Frage, um sicherzustellen, dass ich nicht von meiner Mission abweiche, die darin besteht, zu erinnern. Es ist meine Bestim- mung, an das zu erinnern, was unterdrückt und absichtlich vergessen worden ist. Mit der Frage prüfe ich mich, ob ich dem gerecht werde. War Ihnen diese Bestimmung immer klar? Choi: Nein, ich war viele Jahre lang orientierungslos. Als ich mit 25 Jahren mein Kunststudium abschloss, tat ich mich etwa zehn Jahre lang wirklich schwer. Ich wusste nicht, was tun, wie leben, wie meinen Lebensunterhalt be- streiten, und auch nicht, wel- che Art von Kunst ich machen wollte. In dieser Zeit begann ich wieder auf Koreanisch zu lesen und stieß auf zeitgenös- sische feministische Lyrik von Frauen. Ich habe gemerkt, das sind Stimmen, die ich in den USA auf Englisch präsen- ter machen möchte. Sie haben die in Korea für Frauen vor- geschriebene Sprache radikal durchbrochen. Die Überset- zung dieser Werke hat mir sehr geholfen, denn ich musste die Geschichte Koreas recherchie- ren, um ihre Arbeit im Kontext der damaligen Ereignisse zu verstehen. Und während ich mich in die zeitgenössische Geschich- te Koreas vertiefte, begann ich darüber nachzudenken, wie sehr auch mein Leben von ihr geprägt wurde und darüber hi- naus von dem, was mein Vater erlebt hatte. Dann begriff ich, wie sehr Kriege und Militär mein Leben geformt haben. Da wurde mir klar, dass ich genau darüber schreiben möchte. In Ihrem Gedichtband „Hardly War“ haben Sie die Philoso- phie Ihres Schreibens prä- gnant zusammengefasst als „geopolitische Poetik. Es geht darum, der Geschichte den Gehorsam zu verweigern“. Sie praktizieren das auch in Ihren Essays und in Diskussionen. So haben Sie gesagt, dass das Massaker von Gwangju 1980 – bei dem viele Demonstrie- rende für Freiheit und Demo- kratie vom südkoreanischen Militär getötet und verletzt wurden – ohne die Zustim- mung der USA nicht hätte stattfinden können. Wie wird in den USA und in Südkorea an solche gewaltsamen Ereignis- se erinnert? Choi: Nur sehr wenige Men- schen wissen, welche Art von US-Intervention in Korea statt- gefunden hat. Der quasi offiziel- le Begriff für den Koreakrieg in den USA lautet „der vergessene Krieg“. Es handelt sich um eine LETTER 01/22

IN ACTION Don Mee Choi ist während der Militär- diktatur in Seoul geboren. Im Alter von zehn Jahren wanderte sie mit ihrer Familie nach Hongkong aus und mit 19 in die USA. In ihrem Werk setzt sich Choi kritisch mit der Geschichte Koreas seit der Teilung des Landes 1945 auseinander. Zu ihren bekanntesten Werken gehören die Gedichtbände „Hardly War“ und „DMZ Colony“. 2019 war Choi Gast im Berliner Künstlerprogramm des DAAD. , Born during the military dictatorship in Seoul, Don Mee Choi emigrated to Hong Kong at the age of ten and to the USA at 19. In her work, Choi critically examines the history of Korea since the country's division in 1945. Her best-known works include the poetry collections “Hardly War” and “DMZ Colony”. Choi was a resident of the DAAD Artists-in-Berlin Program in 2019. 33

34 IN AKTION „Als ich in Deutschland war, empfand ich, dass die Erinnerung an Ostdeutschland nicht von Ost- deutschen kons- truiert wurde.“ Art sanktionierte Amnesie, es gibt in den USA keine Erinne- rungskultur. Das Gleiche würde ich für Südkorea behaupten. Es gibt keinen Ort, an dem man sieht: Hier hat das Massaker stattgefunden. Was den Krieg angeht, so lautet die offizielle Version, dass wir von den Ame- rikanern gerettet wurden, aber uns wurde nie erzählt, dass wir von den Amerikanern geteilt wurden. Sie haben einige Zeit in Deutschland verbracht, als Gast des DAAD-Künstler- programms in Berlin und als Picador-Gastprofessorin für Literatur in Leipzig. Welche Erfahrungen haben Sie mit der deutschen Erinnerungs- kultur gemacht? Choi: Wenn wir allgemein über Erinnerung sprechen, fällt mir Berlin ein. Die Per- spektive auf Ostdeutschland wird sehr stark vom westdeut- schen Standpunkt eingenom- men. Es gibt das Spionage- museum, das Stasimuseum und so weiter. Ich finde es gut, dass wir all das zu sehen be- kommen, aber ich finde auch, dass man allzu leicht in diese antikommunistische Ideologie verfällt, die weltweit existierte. Das finde ich problematisch. Als ich in Deutschland war, empfand ich, dass die Erinne- rung an Ostdeutschland nicht von Ostdeutschen konstruiert wurde. Ich bin in deutschen Städ- ten jedes Mal bewegt, wenn ich die Stolpersteine sehe, diese kleinen Messingquadrate, die an den Holocaust erinnern. Es hat lange gedauert, bis ich sie wahrgenommen habe. Aber als ich erst einmal gelernt hatte, sie zu sehen, waren sie überall. Beim ersten Mal habe ich mich an eine Zeile aus einem Gedicht der koreanischen Lyrikerin Kim Hyesoon erinnert, das ich übersetzt habe: „Sie sind wie die Sterne, die man bei Tages- licht nicht sieht.“ Für mich wa- ren die Stolpersteine wie Ster- ne, die man bei Tageslicht nicht sehen kann. Und wie die Sterne sind sie das Licht der Vergan- genheit. Das Licht, das uns erreicht und das Zeit braucht, um uns zu erreichen. — Mission: To remember The award-winning Korean-American poet and translator Don Mee Choi talks about sanc- tioned amnesia and a moving example of re- membrance culture. Choi: I ask myself that question just to make sure that I don't deviate from my mission, which is to remember. It’s a way of re- minding myself that what I am supposed to be doing is remem- bering what has been suppressed and what is intentionally forgot- ten. I ask myself whether I am meeting my purpose. Has this purpose always been so clear to you? Choi: No, I was lost for many years. When I graduated at 25 with a master’s in fine art, I really was not sure what I was going to do. It took me about ten years during which I really struggled. I did not know what to do, how to live, how to support myself, and what kind of art I was going to pursue. During that time, I start- ed reading in Korean again and encountered contemporary fem- inist women's poetry. I thought this is the kind of voice that I want to make more visible in English in the US, because they just broke through prescribed language for women. Translat- ing their work really helped me because I had to research the his- tory of Korea to understand their work in the context of what had taken place. And as I delved into the contemporary history of Korea, I started to think about how my life has also been so shaped by it and by what my father had witnessed through his lifetime. And then I realised how much of my life had been shaped by wars and the military. That was when it became clear that this is what I wanted to write about. Ms Choi, describing what you do, you once said: “the question I often ask myself is, does my art perpetuate historical oblivion?” In your poetry collection “Hardly War” you concisely summarise the philosophy of your writing as “geopolitical LETTER 01/22

IN ACTION 35 poetics. It involves disobey- ing history, severing its ties to power.” You also speak truth to power in your essays and in discussions. For instance, you have said that without US consent, the massacre of Gwangju in 1980 – when many protesters for freedom and democracy were brutally killed and injured by the South Korean military – could not have happened. How are violent events such as this actually remembered in the US and South Korea? Choi: Very few people know what kind of US intervention took place in Korea. The almost official term here in the US for the Korean War is “the forgot- ten war”. It is a kind of sanc- tioned amnesia, there is no remembrance culture in the US. I would say the same applies to South Korea. There is no place where you can say, this is where the massacre happened. On the war, the official narrative is that we were saved by the Ameri- cans, but we were never taught that we were divided by the Americans. “When I was in Germany, I was thinking this memory of East Germany was not constructed by East Germans.” You have spent some time in Germany, as a resident of the DAAD Artists-in-Berlin Program, and as a Picador guest professor for literature in Leipzig. Have you had any personal experi- ences with German remem- brance culture? Choi: If we are speaking about memory in general, I no- ticed in Berlin that the perspec- tive on East Germany is very much from the point of view of West Germany. There is the Spy Museum, the Stasi Museum, you can learn about the history of the Stasi and so on. And I think it is good that we get to see all that but to me it also falls so easily into that anti-communist ideology which was global. And I find that problematic. So, when I was in Germany I was thinking this memory of East Germany was not constructed by East Ger- mans. I feel moved every time I see these little brass squares called “Stolpersteine”, stum- bling stones, that commemorate the Holocaust in German cities. It took me a long time to notice them. But once I learned how to see them, I saw them every- where. The first time, I was re- minded of a line in a poem that I translated by the Korean poet Kim Hyesoon: “they are like the stars that can’t be seen in day- light”. To me the Stolpersteine were like the stars that you can’t see in daytime. And like the stars, they are the light from the past. The light that reaches us. But which takes time to do so. — LETTER 01/22

36 Die Wunden sind bis heute spürbar Warum sich das Auswärtige Amt zusammen mit seinen Mittlerorganisatio- nen wie dem DAAD für eine zukunftszugewandte Erinnerungskultur einsetzt, beschreibt Michaela Küchler in ihrem Gast- beitrag. Die Menschheitsverbrechen des Nationalsozia- lismus sind ein tiefer Einschnitt in der Geschich- te Deutschlands, Europas und weltweit. Die Wunden sind bis heute spürbar. Die Auseinan- dersetzung mit dieser Geschichte hat zunächst nur zögerlich und unter dem Druck der Alliier- ten begonnen. Heute sehen wir eine vielfältige, tief in der Zivilgesellschaft verankerte Erinnerungskultur. Sie hat sich über die Generationen, mit der Ein- wanderung zu uns und mit der deutschen Wie- dervereinigung verändert. Und sie wird sich wei- ter verändern. Zeitzeugen und Zeitzeuginnen werden uns nur mit ihren schriftlich oder auf Video aufgezeichneten Zeugnissen berichten können, Gedenkstätten werden eine größere Be- deutung erhalten und digitale Ansätze werden schon jetzt genutzt, um junge Menschen dort zu erreichen, wo sie sich aufhalten. Die aus der Auf- arbeitung der Verbrechen von NS-Deutschland erwachsene Erinnerungskultur konkurriert nicht mit der Aufarbeitung unserer Geschichte insge- samt. Es bleibt von überragender Bedeutung, die Singularität des Holocaust nicht zu relativieren. Gleichzeitig ist es auch unsere Aufgabe, an die Verbrechen der Kolonialzeit zu erinnern sowie über die Erfahrungen von Menschen, die in der DDR unter der SED-Diktatur litten oder als Zuge- wanderte mit strukturellem Rassismus in der deutschen Gesellschaft kämpfen mussten und müssen, zu berichten und aufzuklären. Im Zuge der Aufarbeitung der Kolonialver- gangenheit hat der DAAD ein aus Mitteln des LETTER 01/22

IN ACTION Auswärtigen Amts finanziertes Stipendienpro- gramm German Colonial Rule mit Fokus auf der Erforschung der Rolle deutscher Behörden während der Kolonialzeit aufgelegt, das voraus- sichtlich bis 2026 laufen wird. Gemeinsame Erinnerungsarbeit schafft die Möglichkeit, unsere Zukunft gemeinsam zu ge- stalten. Die Lehren der Vergangenheit verpflich- ten uns, uns dafür einzusetzen, dass solche Ver- brechen nie wieder geschehen. Das Auswärtige Amt setzt sich zusammen mit seinen Mittlerorga- nisationen für eine zukunftszugewandte Erinne- rungskultur ein, die gerade auch den grenzüber- schreitenden Dialog und Austausch zum Ge- schichtsverständnis fördert. Dafür sind, wo im- mer möglich, der Kontakt und die Zusammenar- beit mit den Zivilgesellschaften essenziell. Den Mittlerorganisationen mit ihren vielfältigen Netz- werken kommt hier eine wesentliche Rolle zu. Auch für die Erinnerungsarbeit gilt – wie insge- samt in unserer Auswärtigen Kultur- und Bil- dungspolitik –, dass die Kooperation in vielen Ländern komplexer und schwieriger wird. Davon sollten wir uns anspornen lassen und weltweit gemeinsam mit unseren Mittlerorganisationen, der Zivilgesellschaft und engagierten Wissen- schaftlerinnen und Wissenschaftlern für ein aus- gewogenes Geschichtsverständnis eintreten. — The wounds can still be felt to this day In her guest contribution, Michaela Küchler explains why Germany’s Fed- eral Foreign Office, together with its intermediary organisations like the DAAD, is committed to a future- oriented culture remembrance culture. The Nazi crimes against humanity marked a profound turning point in the history of Germany, Europe and the world. The wounds can still be felt to this day. At first, Germany began only hesitantly and under pres- sure from the Allies to engage with this history. Today we can see a broad-ranging remem- brance culture that is firmly anchored in civil society. a k c i l A : 7 3 . S , r i o n t a h c e l / k c o t S i : 6 3 . S 37 It has changed over the generations, with the influx into Germany of immigrants, and as a result of Ger- man reunification. And it will continue to change. Soon we will have only written or video reports from contemporary witnesses, memorial sites will become even more important, and digital means are already being used to reach out to young people. The remem- brance culture created by our critical engagement with the crimes of Nazi Germany is not in competi- tion with our engagement with Germany’s history as a whole. It remains vital not to attempt to relativise the singular nature of the Holocaust. At the same time, we have a duty to remember the crimes of the colonial era, and to report on and provide informa- tion about the experiences of people who suffered under the dictatorship in East Germany or of immi- grants who have faced and continue to face struc - tural racism in German society. As part of its critical analysis of Germany’s colo- nial past, the DAAD has launched German Colonial Rule, a scholarship programme funded by the Fed - eral Foreign Office that focuses on researching the role played by German authorities during the colonial era. The programme is expected to run until 2026. Joint remembrance activities create an opportuni- ty for us to shape our future together. The lessons of the past oblige us to do all we can to ensure that such crimes are never repeated. Together with its inter- mediary organisations, the Federal Foreign Office is committed to a future-oriented remembrance culture that also promotes cross-border dialogue and ex- change with a view to understanding history. To achieve this, contact and cooperation with civil socie- ties, wherever possible, is essential. With their diverse networks, the intermediary organisations have a vital role to play here. Cooperation on remembrance work is becoming increasingly complex and difficult in many countries, and this also applies to our cultural relations and education policy in general. This should motivate us to join our intermediary organisations, civil society and engaged academics in working towards a bal- anced understanding of history worldwide. — MICHAELA KÜCHLER ist Sonderbeauftragte für Beziehungen zu jüdischen Organisatio- nen, Antisemitismusfragen, internationale Angelegenheiten der Sinti und Roma und Holocaust-Erinnerung im Auswärtigen Amt. MICHAELA KÜCHLER is the special representative for relations with Jewish organisations, issues relating to antisemitism, international Sinti and Roma affairs, and Holocaust remem- brance at the Federal Foreign Office. LETTER 01/22

KOMPAKT 38 Leerstellen deutscher Erinnerungskultur Mit Blick auf den Ukraine-Krieg fühlt sich die Osteuropa-Historikerin Dr. Franziska Davies zurzeit stark an Zeugnisse und Dokumente aus der Forschung zum Zweiten Weltkrieg erinnert. „Es gibt einige Aspekte dieses Krieges, die ver- gleichbar sind mit dem verbrecherischen Besat- zungsregime der Wehrmacht“, sagt die wissen- schaftliche Mitarbeiterin der Ludwig-Maximili- ans-Universität München. Die Entscheidung der ukrainischen Bevölkerung zu kämpfen bei- spielsweise. Sie denkt dabei an den Warschauer Aufstand der Polnischen Heimat armee, die sich 1944 gegen die deutsche Besatzung zu Wehr setzte. „Wie unter einem Prisma lassen sich die ost- und mitteleuropäischen Erfahrungen am Beispiel Polens besser verstehen.“ Im Rahmen ihrer Habilitation forscht die DAAD-Alumna ak- tuell als Gastwissenschaftlerin am Deutschen Historischen Institut Warschau. Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg begann sie im April eine wöchentliche Onlinevortragsreihe zur Geschichte der Ukraine. „Erinnerungskul- tur spielt für mich in der universitären Lehre ei- ne große Rolle“, sagt sie. „Sie vermittelt Kennt- nisse über die Vergangenheit und kann den Blick schärfen für die Herausforderungen der Gegenwart.“ Eine ihrer Aufgaben sieht Davies auch darin, wissenschaftliche Erkenntnisse zu kommunizieren. Mit ihrer Kollegin Dr. Katja Makhotina hat sie ein Buch über „Offene Wun- den Osteuropas“ geschrieben, das eine Leserschaft außerhalb von Fachkreisen ansprechen soll. „Wir erzählen Geschichten von Menschen, die Krieg und Besatzung erlebt haben. Diese Stimmen sind viel zu lange nicht gehört worden.“ — Gaps in German remembrance culture Currently, with regard to the war in Ukraine, Dr Franziska Davies, a historian of Eastern Europe, feels strongly reminded of testimonies and docu- ments from research on the Second World War. “Several aspects of this war are comparable with the criminal occupation regime of the German Wehr- macht,” says the research associate at Ludwig-Maxi- milians-Universität München. They include, for ex- ample, the Ukrainian population’s decision to fight. This reminds her of the Warsaw Uprising by the Pol- ish Home Army, which took a stand against the Ger- man occupation in 1944. “Like under a prism, Eastern and Central European experiences can be better un- derstood using the example of Poland.” The DAAD alumna is currently working as a visiting researcher at the German Historical Institute in Warsaw as part of her postdoctoral research. In April, in response to the Russian war of aggression, she began a series of weekly online lectures on the history of Ukraine. “Remembrance culture plays a major role for me in university teaching,” she says. “It communicates dis- coveries about the past and can raise awareness of the challenges of the present.” Davies also considers the communication of research findings to be one of her duties. With her colleague Dr Katja Makhotina she has written a book entitled Offene Wunden Ost- europas (Eastern Europe’s Open Wounds) targeted at a broader readership outside academic circles. “We tell the stories of people who experienced war and occupation. These voices have not been heard for far too long.” — www.alumniportal-deutschland.org/ alumni-geschichten/erinnerungs kulturen-osteuropa-expertin-franziska- davies-ueber-den-krieg-in-der-ukraine SCAN ME www.alumniportal-deutschland.org/en/ alumni-stories/culture-of-remembrance- eastern-europe-expert-franziska-davies- on-the-war-in-ukraine LETTER 01/22

IN BRIEF „Hoffnung für die Zukunft entwickeln“ „Unverarbeitete Traumata können von einer Generation auf die nächste übertragen werden“, sagt Professor Jan Ilhan Kizilhan, Leiter des Instituts für Transkulturelle Gesundheitsfor- schung am Standort Villingen-Schwenningen der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW). „Die Erinnerungskultur spielt in der Therapie dieser sogenannten transgenerationa- len Traumata daher eine wichtige Rolle.“ Vor 15 Jahren führte sein Institut im nordirakischen Dohuk die Transkulturelle Traumapädagogik ein und half Menschen in den Geflüchteten- camps, ihre traumatischen Erlebnisse zu verar- beiten. „Der Aufbau einer psychosozialen Ver- sorgungsstruktur für die Bevölkerung erscheint angesichts der Vielzahl an historischen, trau- matisierenden Ereignissen und den weitrei- chenden Auswirkungen auf die Lebensqualität besonders dringend“, so Kizilhan. Seit 2017 richtete er an der Universität Dohuk das vom DAAD geförderte Institut für Psychotherapie und Psychotraumatologie (IPP) ein und bildet dort Psychotherapeutinnen und Psychothera- peuten aus. Es sind vor allem Frauen und Kin- der, die in den Geflüchtetenlagern von Dohuk unter den Folgen schwerer physischer und t a v i r p : 9 3 . S , t a v i r p : 8 3 . S 39 sexueller Gewalt leiden. „Auch autobiografische Erinnerungen, die allgemein eher als persönli- che Angelegenheit angesehen werden, haben Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung und das kulturelle Gedächtnis einer Gruppe“, so Kizilhan. In der Behandlung psychisch schwer erkrankter Menschen helfe es, die Vergangen- heit zu ver stehen. „Und daraus Hoffnung für die Zukunft zu entwickeln.“ — “Develop hope for the future” “Untreated traumas can be passed from one gener- ation to the next,” says Professor Jan Ilhan Kizilhan, Director of the Institute for Transcultural Health Science at the Villingen-Schwenningen campus of Baden-Württemberg Cooperative State University (DHBW). “Remembrance culture therefore plays an important role in the therapy of these so-called transgenerational traumas.” Fifteen years ago his in- stitute introduced transcultural trauma education in Duhok in northern Iraq and helped people in the refugee camps there to come to terms with their traumatic experiences. “The development of a psy- chosocial care structure for the population appears especially urgent in view of numerous historic, trau- matising events and their far-reaching effects on quality of life,” says Kizilhan. Since 2017 he has been active in setting up the DAAD-funded Institute of Psychotherapy and Psychotraumatology (IPP) at the University of Duhok and training psychothera- pists there. In the refugee camps of Duhok it is pri- marily women and children who are suffering from the effects of severe physical and sexual violence. “Autobiographical memories, which generally tend to be regarded as a personal matter, also have an influence on societal development and the cultural memory of a group,” says Kizilhan. When treating people with serious mental disorders it helps to under stand the past. “And to use this to develop hope for the future.” — LETTER 01/22

IN AKTION „Wissen ist wie ein Baobab“ 40 Religionsgegenstände, Gottheiten, Ikonen: Germa- nist, Kolonialhistoriker und DAAD-Alumnus Dr. Ohiniko Mawussé Toffa will klären, wo die Deponate am GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig herkommen, wem sie wie genommen wurden und wie sie nach Deutschland kamen. Text: Christina Iglhaut Fotos/photographs: Tim Wegner LETTER 01/22 in Puppen-Brautpaar aus Sri Lanka liegt neben einem Umschlagtuch für Männer aus bunter Wolle, durchzogen von glänzenden Metallfaden-Stickereien. In den Glasvitrinen daneben ein Tempelamulett und Wächterfiguren aus Indonesien und die indische Gottheit Ganesha aus dem Bundes-staat Tamil Nadu. Auf den kleinen silbernen Schildern, die erklären, was zu sehen ist, steht immer wieder: Sammlung unbekannt. Genau das wollen Dr. Ohiniko Mawussé Toffa und sein Team am GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig ändern. Toffa kommt aus der Stadt An-ého im Süden Togos. Mit einem DAAD-Stipendi-um kam er 2015 nach Deutschland, um an der Universität Bremen zu promovieren. Heute ar-beitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an

IN ACTION dem vom Deutschen Zentrum für Kulturgutver- luste geförderten Projekt „Provenienz von ko- lonialzeitlichen Sammlungen aus Togo“ im Mu- seum für Völkerkunde Dresden und im GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig (Staatliche Ethnographische Sammlungen Sachsen). Rund eintausend Artefakte aus unterschiedlichen Kulturen und Familien der togoischen Koloni- sierten werden dort untersucht. Sie alle sind auf acht Kolonisatoren zurückzuführen, unter anderem Oskar Marx, Harry Grunitzky und Dr. Hans Gruner. Ethno loginnen und Ethnologen sollen nun die Provenienz und die sogenannten „Erwerbsumstände“ klären. Wo kamen die Ar- tefakte her? Wurden sie gewaltsam entwendet? Und wie kamen sie nach Deutschland? Im sogenannten „Care-Room“ suchen Toffa und Sammlungsverwalterin für Afrika Julia Pfau nach Antworten. Sie untersuchen die Depo- nate und tauschen sich über Forschungsfort- schritte aus. Die Museumsbesucherinnen und -besucher können ihnen durch eine verglaste Scheibe bei der Arbeit zuschauen. „Uns ist diese Transparenz sehr wichtig. Wir legen den Fokus in diesem Bereich der neuen Dauerausstellung mehr auf unsere Arbeit hinter den Kulissen: auf die Provenienzforschung und auf die Restaurie- rung“, erklärt Pfau. Eine bestimmte Pflanzenfa- ser, ein bestimmtes Holz, Fell oder Leder, alles kann ein Indiz dafür sein, wo die Gegenstän- de ursprünglich herkommen. Toffas Expertise und seine Sozialisierung in Togo helfen dabei. „Ich kenne viele der Objekte von zu Hause, weiß sofort, in welcher Region sie zu verorten sind, wofür sie traditionell eingesetzt wurden und was sie den Menschen dort bedeuten.“ Es handele sich oft um Religionsgegenstände, Gottheiten, Ikonen. Auch das Objekt, das Julia Pfau gerade vorsichtig von einem Rollwagen auf den Tisch vor ihnen hebt, kennt Toffa aus seiner Heimat: eine Sprechtrommel des „Oberhäuptlings“. „In Togo wird sie Atopani genannt, ist ein religiöser Gegenstand und darf nur von initiierten Per- sonen geschlagen werden. Daraufhin versam- melt man sich, um Zeremonien durchzuführen oder Nachrichten zu verkünden“, erklärt Toffa der Sammlungsverwalterin, die mittlerweile am Computer sitzt und diese Erläuterungen in die Datenbank einträgt. „Sachgruppe: Musik, Tanz; Untersachgruppe: Membranofone“. Wenn Toffa und Pfau herausgefunden ha- ben, wem die Artefakte gehörten und dass sie unter unrechten Umständen entwendet wurden, stellt das Museum sie nicht mehr aus und ver- sucht, mit den Herkunftsgemeinschaften in Ver- bindung zu treten. „Ich würde gerne dazu bei- tragen, dass diese Trommel irgendwann wieder zurück nach Togo kommt“, sagt Toffa und inspi- ziert ein kleines Loch in ihrer Ledermembran. Um weitere Hinweise zur Herkunft und den „Erwerbsumständen“ zu finden, recherchiert Toffa in Archiven in Deutschland und Togo, er liest Briefe zwischen den Kolonisatoren und den Museen und Erfahrungsberichte der „Samm- ler“ über ihre Expeditionen. Auch auf seinen eigenen Nachnamen ist er dabei schon gesto- ßen. Toffas Familie war lange Zeit selbst von der Kolonialisierung betroffen. „Einer meiner Vorfahren wurde im Norden Togos versklavt, meine Eltern sind die zweite Generation seit der Unabhängigkeit Togos. Die Konsequenzen und Einflüsse der Kolonialisierung gehören für mich leider zum Alltag.“ Sein Vater hatte ihm eher positive Erfahrungen mit den Deutschen geschildert. „Sei nicht so faul, sei ein bisschen LETTER 01/22 41

IN AKTION „Die Konsequenzen der Kolonialisierung gehören für mich leider zum Alltag.“ mehr wie die Deutschen“, hieß es dann nach der Schule. Als Toffa sich aber mit seiner eigenen Familiengeschichte und der Kolonialisierung auseinandersetzte, erzählten die Archivalien eine andere Geschichte. „Diese Dissonanz faszi- nierte mich. So bin ich zu diesem Forschungs- feld gekommen.“ Durch das DAAD-Stipendium erhielt Toffa dann noch mal eine neue Sicht auf die Dinge, da er während seines Aufenthalts mit Wissen- schaftlerinnen und Wissenschaftlern aus aller Welt und vor allem aus verschiedenen Ländern Afrikas, zum Beispiel Ägypten, Burkina Faso und Benin, forschte. „Dabei habe ich gelernt, dass meine Erkenntnisse und Einstellungen nicht allgemeingültig sind und ich mich immer wieder kritisch hinterfragen muss“, erzählt der Kolonialhistoriker. „In Togo sagen wir: Wissen ist wie ein Baobab, ein afrikanischer Affenbrot- baum, den man wegen seines Umfangs nie allei- ne umarmen kann. So ist das auch beim Wissen. Wir brauchen immer Austausch.“ — 42 “Knowledge is like a baobab” Religious objects, deities and icons: German studies specialist, colonial historian and DAAD alumnus Dr Ohiniko Mawussé Toffa aims to clarify where the items stored at GRASSI Museum of Ethnology in Leip- zig stem from, who they were taken from and how they came to Germany. Husband-and-wife dolls from Sri Lanka lie next to a wrap-around robe for men made of brightly colour- ed wool crisscrossed with embroideries of shiny metal threads. In the neighbouring glass display cabinets stand a temple amulet, guardian figures from Indonesia and the Indian deity Ganesha from the state of Tamil Nadu. The small silver signs that explain what you are looking at frequently read “Collection unknown”. This is precisely what Dr Ohiniko Mawussé Toffa and his team at the GRASSI Museum of Ethnology in Leipzig want to change. Toffa comes from the town of Aného in southern Togo. He came to Germany in 2015 with a DAAD scholarship to complete a doctorate at the University of Bremen. Today he works as a research assistant in a project called Provenance of Colonial Period Collections from Togo that is funded by the German Lost Art Foundation and based at Leipzig Ethnological Museum and the GRASSI Museum of Ethnology (State Ethnographic Collections of Saxo- ny). Some 1,000 artefacts from different cultures and families that were colonised in Togo are being investigated there. They can all be traced back to eight colonisers, including, among others, Oskar Marx, Harry Grunitzky and Dr Hans Gruner. Ethnol- ogists now aim to clarify their provenance and their so-called “acquisition circumstances”. Where did the artefacts come from? Were they appropriated by violent means? And how did they come to Ger- many? Toffa and Julia Pfau, the collection administra- tor for Africa, look for answers in the “Care Room”. They examine the stored items and discuss advanc- es in their research. Museum visitors can watch them at work through a pane of glass. “This trans- parency is very important to us. In this area of the LETTER 01/22

IN ACTION new permanent exhibition we are focusing more on our work behind the scenes: on provenance research and restoration,” explains Pfau. Specif- ic plant fibres or types of wood, fur or leather can all provide clues as to where the objects originally came from. Toffa’s expertise and his socialisation in Togo help in this process. “I know many of the objects from home, immediately recognise the re- gion in which they are found, what their traditional uses were and what they mean to the people there.” They often involve religious objects, deities, icons. The object that Julia Pfau is now carefully lifting onto the table in front of them from a trolley is also one that Toffa knows from his native country: a talk- ing drum belonging to the “paramount chief”. “In Togo it is called an Atopani; it is a religious object and may only be beaten by initiated individuals. Then people assemble to carry out ceremonies or announce news,” explains Toffa to the collection administrator, who has meanwhile sat down at the computer and begun entering details into the data- base. “Subject category: music, dance; subgroup: membranophone”. If Toffa and Pfau discover who the original owners of the artefacts were and that they were taken unjustly, the museum no longer exhibits them and attempts to establish contact with their com- munities of origin. “I would like to contribute to this “The consequences of colonisation are for me unfortunately part of everyday life.” drum eventually returning to Togo again,” says Toffa as he inspects a small hole in its leather membrane. Toffa seeks to uncover further clues about ar- tefacts’ origins and “acquisition circumstances” not only by doing research in archives in Germany and Togo, but also by reading letters between the colonisers and museums and experience reports of expeditions by the “collectors”. In the process he has also come across his own surname. Toffa’s fam- ily was directly affected by colonisation for a long time. “One of my ancestors was enslaved in north- ern Togo; my parents are the second generation since Togo’s independence. For me, unfortunately, the consequences and influences of colonisation 43 are part of everyday life.” His father’s descriptions of experiences with the Germans were rather positive. “Don’t be so lazy, be a bit more like the Germans,” he was told after school. When Toffa examined his own family history and colonisation, however, the archive records told a different story. “This dis- sonance fascinated me. That’s how I came into this field of research.” Then, as a result of the DAAD scholarship, Toffa gained another new perspective on things, because during his stay he conducted research with re- searchers from all over the world and above all from different African countries – for example, Egypt, Burkina Faso and Benin. “In the process I learned that my conclusions and opinions are not univer- sal, and I must constantly subject myself to critical scrutiny,” says the colonial historian. “In Togo we say: knowledge is like a baobab, an African mon- key-bread tree, which you can never hold in your arms alone because of its girth. It is the same with knowledge. We always need exchange.” — Lernen Sie Dr. Ohiniko Mawussé Toffa im Video kennen und besuchen Sie mit ihm das GRASSI Museum. Meet Dr Ohiniko Mawussé Toffa in the video and visit the GRASSI Museum with him. SCAN ME LETTER 01/22

IM DIALOG „Das Management von Kulturerbe besser verstehen“ Welchen Einfluss kann wissenschaftlicher Austausch auf die Erinnerungskultur eines Landes haben? Ein Dialog zwischen Dr. Britta Rudolff, Leiterin des internationalen Masterstudiengangs Heritage Conservation and Site Management, und Mohamed Amer aus Ägypten, einem ihrer ehemaligen Studenten. 44 Protokoll: Klaus Lüber BRITTA RUDOLFF: Mohamed, wir haben uns vor acht Jahren zuletzt gespro- chen. Aber ich habe aus der Ferne immer interessiert verfolgt, was du machst. Zum Beispiel hast du die Initiative HeritageForAll in Ägypten gegründet, die die gesellschaftliche Wahrnehmung für das Thema Erinnerungskultur schärfen soll. Das finde ich spannend. MOHAMED AMER: Ja, danke. Wobei ich mich im Augenblick auf meine Doktorarbeit konzentriere und kaum noch dazu komme, mich um die Initiative zu küm- mern. Ich arbeite daran, dass aus der Initiative ein Verein oder eine Stiftung wird. Das Management von Kulturerbe besser zu verstehen und ein Stück weit zu profes- sionalisieren, beschäftigt mich aber auch in meiner akademischen Arbeit.

IN DIALOGUE BRITTA RUDOLFF: Ich finde ja, dass dabei der interkulturelle Austausch eine zunehmend wichtige Rolle spielt. Das hat sich in den vergangenen 40 Jahren wirklich stark verändert. Ich meine zum Beispiel die Erkenntnis, dass ein Erinne- rungsobjekt an sich wertlos ist, wenn man nicht den Wert und den Nutzen beachtet, den es für den Menschen hat. BRITTA RUDOLFF: Was ich an Ägypten im Vergleich zu Deutschland spannend finde: Gerade MOHAMED AMER: Da stimme ich zu. Wertorientierte Ansätze sind heute viel bedeutender geworden. Aus der Sicht einer zukünftigen Kulturerbeindustrie beobachten wir gerade eine Fokusverschiebung weg vom Begriff des Kulturerbes hin zu kultureller Identität. Dies trägt dazu bei, die negativen Auswirkungen von Globalisierung und Modernisierung auf kulturelles Wissen und Kulturerbegemein- schaften abzumildern und eine reibungs- lose Weitergabe an künftige Genera- tionen zu gewährleisten. weil es diese sehr alten Erinnerungsstätten gibt, werden Zeugnisse der islamischen Kultur, die für unser Verständnis hier auch sehr alt sind und etwa bis zurück ins 7. Jahrhundert datieren, gar nicht unbedingt als etwas Altes wahrgenommen. Sie sind vielmehr Teil der aktuellen ägyptischen Identität und damit des alltäglichen Lebens. Ich kann mich gut an meine Zeit als Dozentin an unserer Partneruniversität in Ägypten, der Helwan-Universität in Kairo, erinnern. Wir hatten das Konzept einer sogenannten „Flying Faculty“, das mit den Studierenden Fallstudien von Kulturstätten vor Ort durchführte. Was mir sofort vorgeschlagen wurde, waren natürlich altägyptische Kulturstätten in Gizeh. Aber das war mir zu weit vom Campus entfernt. Als ich fragte, was wir uns denn in der näheren Umgebung ansehen könnten, herrsch- te Ratlosigkeit. Bis ich Aquarium Grotto Garden entdeckt habe, einen Landschaftsgarten aus dem 19. Jahrhundert. Für die Studierenden war das sehr ungewohnt, sich damit als Erinnerungsort auseinander zusetzen. BRITTA RUDOLFF: Das nehme ich gerne zur Kenntnis. Was ich aber auch eine sehr schöne Entwicklung finde: Es haben sich in vielen Ländern, auch in Ägypten, inzwischen aktive Alumni- Netzwerke formiert, die genau diese Pro- fessionalisierung vorantreiben, die für unser Fach wünschenswert ist. Da gebe ich dir vollkommen recht, Mohamed. ) 2 ( t a v i r p : 4 4 . S 45 MOHAMED AMER: Ich habe schon sehr von meiner Zeit an der BTU Cottbus-Senftenberg profitiert. Dort konnte ich Module absol- vieren, die eine zusätzliche berufliche Qualifi- zierung ermöglichen. Genauso dankbar bin ich für die Lehreinheiten an der DAAD Kairo Akade- mie zu den Themen Soft Skills und akademisches Arbeiten. Gerade deshalb finde ich es so wich- tig, den wissenschaftlichen Nachwuchs weiter zu fördern. Dabei könnte ich mir übrigens auch noch mehr Unterstützung aus Deutschland vorstellen. LETTER 01/22

IM DIALOG “A better understanding of heritage management” How can academic exchange influence a country’s remembrance culture? We recorded a dialogue between Dr Britta Rudolff, head of the international Master programme on heritage conservation and site management, and Mohamed Amer from Egypt, one of her former students. Transcript: Klaus Lüber 46 DR. BRITTA RUDOLFF ist Professorin für Kulturerbemanage- ment an der Brandenburgischen Tech- nischen Universität Cottbus-Senften- berg (BTU) und lehrt in den internatio- nalen Masterprogrammen World Heritage Studies und Heritage Conser- vation and Site Management. is a professor in heritage management at Brandenburg University of Technol- ogy Cottbus-Senftenberg (BTU) and teaches as part of international Master programmes in world heritage studies and heritage conservation and site management. MOHAMED AMER promoviert in Heritage Marketing and Sustainable Cultural Tourism an der Universität Rom III. Er ist Absolvent des vom DAAD geförderten Studiengangs Heritage Conservation and Site Management, der an der BTU in Zu- sammenarbeit mit der Helwan- Universität Kairo angeboten wird. is completing a doctorate in heritage marketing and sustainable cultural tourism at Roma Tre University. He is a graduate of the DAAD-funded study programme in heritage conservation and site management offered at the BTU in cooperation with Helwan University in Cairo. BRITTA RUDOLFF: Mohamed, it’s now been eight years since we last spoke. Neverthe- less, I’ve always followed what you’ve done from a distance with great inter- est. For example, you founded Heritage- ForAll in Egypt, an initiative that aims to raise awareness of young professionals abroad working in the field of heritage studies. I find that fascinating. MOHAMED AMER: Yes, thanks. At the moment, though, I’m concentrating on my doctoral thesis and hardly have any time to look after the initia- tive. I hope to transform it into an association or foundation in the future. However, I’m also concerned with gaining a better understand- ing of heritage management and raising its professionalisation internationally in my academic and professional work. LETTER 01/22

IN DIALOGUE BRITTA RUDOLFF: I actually find that intercultural exchange is playing an increasing- ly important role here. That has really changed substantially in the last 40 years. Here, for example, I refer to the idea that an object of remembrance is intrinsically worthless if you do not consider the value and benefit it has for people. MOHAMED AMER: I agree. Value-oriented approach- es have become much more important today. From a future heritage industry per- spective, we started to go out from the cul- ture heritage cycle to the cultural identity cy- cle. This contributes to mitigating the negative impacts of globalisation and modernisation on cultural knowledge and heritage commu- nities as well as its smooth transmission to future generations. BRITTA RUDOLFF: There is one thing I find particularly fascinating about Egypt in comparison to Germany: precisely because there are these very ancient historic sites, the witnesses of Islamic culture, which in our terms are also very old here and date back roughly to the 7th century. Yet, they are not necessarily perceived as old but rather as part of Egyptian contemporary identity, of everyday life. I very well remember my time as a lecturer at our partner university in Egypt, Helwan University in Cairo. We had the idea for a so-called Flying Faculty, which was to carry out case studies of cultural sites on the spot with students. The proposals I was immediately suggested by our Egyptian colleagues were the ancient Egyptian cultural sites in Giza. But that was too far away from the campus for me. When I asked what we could look at in the immediate surroundings, I was met with blank faces. Then I discovered Aquarium Grotto Garden, a landscape garden dating from the 19th century. For the students, it was very unusual to treat this as a historical site. MOHAMED AMER: I benefited a lot from my time at BTU Cottbus-Senftenberg. It simply makes a 47 difference whether you only complete mod- ules that allow you to gain additional profes- sional experience. In addition, I benefited a lot from the modules in soft and academic skills at DAAD Kairo Akademie. And that’s why I find it so important to keep nurturing fresh academ- ic talent. By the way, I could also imagine even more support from Germany here. BRITTA RUDOLFF: I’m happy to note that. What I also consider a very positive devel- opment, however, is the fact that active alumni networks have formed in many countries – in Egypt, too – that are advanc- ing precisely the kind of professionalisa- tion that is desirable for our subject area. I’m in total agreement with you on that, Mohamed. LETTER 01/22

IN VERBINDUNG 48 Spuren der Vergangen- heit 2022 feiert die DAAD- Außenstelle Rio de Janeiro ihr 50-jähriges Bestehen. Ihr Leiter Dr. Jochen Hellmann erinnert an ein noch viel weiter zurück- liegendes Datum: Den Beginn der deutschen Ein- wanderung in Brasilien vor rund 200 Jahren. eder zehnte Brasilianer beziehungs- weise jede zehnte Brasilianerin hat deutsche Vorfahren, heißt es. So genau weiß das niemand, und die Grenze, die das individuelle Erinnern von der nach und nach verschütteten Vergangenheit trennt, ist undeutlich markiert. Bei vielen ist es nur ein Nachname, der an die Migration ferner Vorfah- ren und Vorfahrinnen erinnert, und nicht selten traf der Autor dieser Zeilen Personen an brasili- anischen Hochschulen, deren Entscheidung für das Deutschlernen damit zusammenhing, dass sie Schmidt oder Lehmann hießen und auf den Spuren dieses Herkommens zurückwandern und die geheimnisvolle Sprache erlernen woll- ten, die sie in ihrer Kindheit bei der Großmutter gelegentlich noch gehört hatten. 1822 wurde Brasilien von Portugal unabhän- gig. Das Land war dünn besiedelt und auf die Aus- fuhr tropischer Agrarprodukte angewiesen, die durch die Arbeitskraft von aus Afrika unter grau- samen Bedingungen nach Brasilien verschifften Sklavinnen und Sklaven hergestellt wurden. Der Kaiser von Brasilien und seine Gemahlin wollten dies ändern. Freie europäische Bauern und Bäue- rinnen für brachliegendes Land (und Soldaten für das unterbesetzte Heer …) könnte man brauchen, so die Überlegung. Agenten wurden in das zer- splitterte deutsche Reich geschickt, Migrations- willige zu sammeln. 1824 war es dann soweit: Die „Anna Louise“ traf aus Hamburg ein, mit den ersten 39 deutschen Einwandernden an Bord. LETTER 01/22

KEEPING IN TOUCH Zwar kommt die deutsche Einwanderung zah- lenmäßig erst an vierter Stelle nach den drei eu- ropäischen Hauptherkunftsländern Italien, Por- tugal und Spanien. Doch scheint die durch- schnittliche Kinderzahl bei den deutschen Mig- rierten am größten gewesen zu sein: Über acht Kinder pro Frau in der ersten und sogar mehr als zehn Kinder bei deutschen Einwanderinnen der zweiten Generation, das genügte, um in ländlichen Gebieten (und die meisten eingewan- derten Familien waren in der Landwirtschaft tä- tig) lange unter sich zu bleiben. Im öffentlichen Leben sind die Nachfahrin- nen und Nachfahren heute als perfekt assimi- lierte Brasilianerinnen und Brasilianer präsent, Ana Hickmann (TV-Moderatorin), Vera Fischer (Schauspielerin), Gustavo Kuerten (Tennis- Crack), Gisele Bündchen (Model), Rosa Weber (Verfassungsrichterin) und wie sie alle heißen. Ob diese bekannten (und die vielen unbekann- ten) Menschen mit deutschen Vorfahren und Vorfahrinnen noch Deutsch können? Vielleicht der eine oder die andere noch. Aber sie sind brasilianische Menschen mit einer verblassen- den Erinnerung an die Zeit, als ihre Ahninnen und Ahnen auf strapaziöser Fahrt von Hamburg in die unbekannte subtropische Sphäre reisten und begannen, eine ihnen zunächst unvertraute Scholle zu beackern. — Traces of the past The DAAD Regional Office Rio de Janeiro is celebrating its 50th anniver- sary in 2022. Its director, Dr Jochen Hellmann, recalls an event that even dates much further back: the start of German immigration to Brazil around 200 years ago. It is said that one in ten Brazilians has German roots. Nobody knows exactly how many really do, and the line separating individual memories from a past that has become gradually buried is not clearly marked. For many people, the only reminder of long-lost an- cestors who once immigrated is their surname, and i k s w o r i a M e p i l e F : 9 4 . S , k c o t S i : 8 4 . S 49 the author of these lines has not infrequently come across students at Brazilian higher education institu- tions whose decision to learn German stemmed from the fact that they were called Schmidt or Lehmann. They were keen to trace their origins and learn the mysterious language they had occasionally heard their grandmother speak when children. Brazil became independent from Portugal in 1822. A sparsely populated country, it was reliant on exporting tropical crops that were produced using the labour of slaves who had been shipped from Africa to Brazil under barbarous conditions. The em- peror of Brazil and his consort wanted to change this. Their idea was that the country could use free European peasants to farm the farrow land (and sol- diers for the understaffed army …). Agents were sent to the fragmented German empire to round up anyone willing to migrate. Consequently, in 1824, the good ship “Anna Louise” arrived from Hamburg with the first 39 German immigrants on board. Admittedly, Germany supplied only the fourth-largest number of immigrants – Italy, Portu- gal and Spain being the main three European coun- tries of origin. Nonetheless, German migrants ap- pear to have produced the largest average number of children: over eight per woman in the first gener- ation, while second-generation German immigrant women even had more than ten on average. This was enough to ensure that Germans could long keep to themselves in rural areas (and indeed most families of migrants did work in agriculture). Their descendants today are perfectly assimi- lated Brazilians who in some cases are visible in public life, such as Ana Hickmann (TV host), Vera Fischer (actor), Gustavo Kuerten (tennis pro), Gisele Bündchen (model) and Rosa Weber (constitutional court judge), to name but a few. It would be inter- esting to know if these well-known (not to mention all the many unknown) people of German descent can still speak German. Perhaps the odd one can. But above all they are Brazilians with fading mem- ories of the time when their ancestors set off on their arduous journey from Hamburg to this obscure tropical world and began farming initially unfamiliar plots of land. — DR. JOCHEN HELLMANN ist Leiter der DAAD-Außenstelle in Rio de Janeiro. DR JOCHEN HELLMANN is Director Regional Office Rio de Janeiro at DAAD. LETTER 01/22

IN KONTAKT 50 DAAD- Angebote für Alumni Informationen, Diskussionen, Trainings: Auch online bietet der DAAD ehemaligen Geförderten vielfältige Angebote. Die Verbindung zu seinen Alumnae und Alumni ist dem DAAD wichtig. Für sein weltweites Netz- werk setzt er dabei auch auf digitale Verbindun- gen: Unter daad.de/alumni entdecken Sie mit wenigen Klicks unter anderem Förderprogram- me für DAAD-Alumni und -Alumnae sowie De- tails zu den über 160 Alumnivereinen weltweit. Außerdem lernen Sie in der Alumnigalerie her- ausragende DAAD-Alumni und -Alumnae ken- nen. Im personalisierten Servicebereich können Sie Ihre Kontaktdaten beim DAAD aktuell hal- ten, um über relevante Angebote informiert zu werden, Fachliteratur beantragen oder die Printversion des Alumni-Magazins Letter sowie den Newsletter für deutsche Alumnae und Alumni abonnieren. Wer online mit anderen Menschen aus aller Welt diskutieren will, die in Deutschland studiert, geforscht oder im eigenen Land an einem deutschen Bildungsangebot teilgenommen haben, ist beim Alumniportal Deutschland richtig. Das Alumniportal bietet außerdem Beiträge zu besonderen Projekten, Übungen zum Deutschlernen oder Infos zu ak- tuellen Ausschreibungen, Alumnitreffen und Jobangeboten sowie eine exklusive Gruppe für DAAD-Alumni und -Alumnae. LETTER 01/22

IN CONTACT Mit der nächsten Ausgabe finden Sie unter daad.de/alumni auch den neuen digitalen Letter sowie kurze Alumni-News. Setzen Sie sich am besten gleich ein Lesezeichen! - DAAD services for alumni Information, discussions, training courses: the DAAD also has plenty to offer former scholarship holders online. Keeping in touch with alumni is important to the DAAD. We maintain our global network via digital links: at daad.de/alumni you are only ever a few clicks away from discovering funding programmes for DAAD alumni or details of the world’s more than 160 alumni associations, among other things. Or visit the Alumni Gallery to meet some outstanding DAAD alumni. In the personalised Service Area you can update your contact details to ensure that the DAAD can always tell you about relevant services, you can order specialist literature or the print ver- sion of the alumni magazine Letter, or you can sign up for the newsletter for German alumni. The Alumniportal Deutschland is the right place for you if you want to chat online with other people who have studied or researched in Germany or taken advantage of a German educational offer in their own country. In addition, the Alumniportal features articles about special projects, exercises to help you learn German, and information about current calls, alumni get-togethers and job offers, plus an exclusive group for DAAD alumni. In the next edition, you will also find the new digital Letter and brief alumni news stories at daad.de/alumni. Why not bookmark it right away! — k c o t S i / h s i r _ a m : 0 5 . S daad.de/alumni daad.de/de/alumni/galerie daad.de/alumni-service alumniportal-deutschland.org daad-stiftung.de 51 Impressum Herausgeber/Publisher: Deutscher Akademischer Austauschdienst e.V., Bonn, Kennedyallee 50, 53175 Bonn, Germany V.i.S.d.P.: Dr. Ursula Paintner Tel.: +49 228 882-0, E-Mail: postmaster@daad.de daad.de/impressum Verlag/Publishing House: Fazit Communication GmbH Frankenallee 71–81, 60327 Frankfurt, Germany Redaktion/Editorial Board: Janet Schayan (Redaktionelle Leitung/Editor), Johannes Göbel, Christina Iglhaut E-Mail: daad@fazit-communication.de Art-Direktion/Art Direction: Oliver Hick-Schulz (fr) Übersetzung/Translation: Chris Cave (fr), Derek Whitfield (fr) Titelfoto/Cover: Paul Langrock/laif Redaktionsbeirat/Editorial Advisory Board: Paul Assies, Stefan Bienefeld, Rebecca Clemens, Simon Cremer, Dr. Ursula Egyptien Gad, Prof. Dr. Hebatallah Fathy, Michael Flacke, Alexander Haridi, Theresa Holz, Dr. Christian Hülshörster, Tabea Kaiser, Dr. Klaudia Knabel, Alexander Knoth, Stefanie Lohmann, Dr. Ursula Paintner, Julia Quirll da Matta, Kira Schick, Martin Schifferings, Julia Vitz, Dr. Heidi Wedel, Ursula Wittersheim, Dr. Fangfang Xu Druck/Printers: msk marketingservice köln GmbH, Bischofsweg 48–50, 50969 Köln, Germany Auch nicht ausgezeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers wieder. Unnamed contributions also do not necessarily reflect the opinion of the publisher. DAAD Letter erscheint zweimal im Jahr. Auflage: 9.000, Juli 2022. LETTER 01/22