DAAD-Wahlbeobachterreise 2021: Reisetagebuch

Seit über 60 Jahren führt der DAAD regelmäßig zu den Bundestagswahlen die "Wahlbeobachterreise" durch. Hier erleben internationale Deutschlandexpertinnen und -experten den Endspurt des Wahlkampfes hautnah, besuchen Veranstaltungen, diskutieren mit Politiker:innen und Wissenschaftler:innen und berichten ihrerseits in ihrem Heimatland von ihren Eindrücken. 

 

 

  • Spannender Wahlabend und Klassenfahrt-Gefühl 

    Was für ein Wahlabend. Und was für ein Finale der DAAD-Wahlbeobachterreise 2021.  

    Nach sieben intensiven Tagen endete am Montag die Tour der internationalen Delegation durch den deutschen Wahlkampf mit Stationen in Berlin, Halle an der Saale und Potsdam.  

    „Wir haben zwei Kanzler“, sagte der wissenschaftliche Reisebegleiter Prof. Dr. Ulrich Eith, bevor sowohl Armin Laschet (CDU) als auch Olaf Scholz (SPD) in ihren ersten Ansprachen in die Mikrofone sagten, dass sie das Wählervotum als Auftrag zur Regierungsbildung verstanden haben. Für die DAAD-Wahlbeobachter:innen kam das nicht überraschend. Sie hatten sich in den vergangenen sieben Tagen mit dem Wahlkampf in Deutschland auseinandergesetzt.  

    Wie wird der deutsche Wahlkampf im Ausland wahrgenommen? Welche Themen sind außerhalb Deutschlands von Bedeutung und was fällt internationalen Beobachterinnen und Beobachtern vor der Bundestagswahl auf? Unter dieser Fragestellung hatte der DAAD die neun Wissenschaftler:innen und Journalist:innen eingeladen, um den deutschen Wahlkampf zu begleiten.  

    Den Wahlabend verbrachte die Gruppe gemeinsam vor zwei TV-Monitoren (ARD und ZDF) in einem Hotel unweit des Gendarmenmarktes. Die brasilianische TV-Journalistin Leila Sterenberg führte Interviews und berichtete für den Nachrichtensender Globo News. Der britische Autor und Journalist John Kampfner recherchierte und schrieb für die Financial Times und The New European.  

    drei Menschen

    Die Politikwissenschaftlerin Luicy Pedroza Espinosa aus Mexiko war am Wahlabend mit Kampfner und Sterenberg bei der Wahlparty der Grünen an der Columbiahalle in Kreuzberg. Dann war sie als Expertin zum Podcast „El Fin de la Era Merkel“ (Das Ende der Ära Merkel) am Instituto Cervantes eingeladen. Auf dem Weg zum Hotel und den anderen Wahlbeobachter:innen, sah sie, wie Olaf Scholz das TV-Studio nach der „Elefantenrunde“ verließ. Und in einem benachbarten Wahllokal beobachtete sie, wie die Stimmen ausgezählt wurden. „Mehr Bundestagswahl geht nicht“, sagte sie. Und das gelte auch für die Tage davor.  

    Am Wahlmorgen hatte die Gruppe zwei Wahllokale besucht. Davor stand ein TV-Journalist von CNN, der sonst vor dem Weißen Haus in Washington in sein Mikro spricht. Im Anschluss traf sich die internationale Gruppe mit dem renommierten Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. Der bemängelte sehr pointiert, dass es in der deutschen Politik kein Gestaltungsziel gebe. Deutschland sei ein Wolfserwartungsland, in dem man zwar spannende Krimis liebe, sich aber im Wahlkampf mit Wattebäuschchen bewerfe. „Wir müssen wieder lernen, uns zu streiten“, so Korte. Zum Abschied bedankte sich Korte augenzwinkernd bei der Delegation: „Danke, dass Sie sich für so ein langweiliges Land interessieren.“ 

    Nachdem sich die Wahlbeobachter ihren Weg durch die Absperrungen des Berlin-Marathons gebahnt hatten, besuchten sie Nico Fried, der die Parlamentsredaktion der Süddeutschen Zeitung leitet. Der Journalist plauderte aus dem Nähkästchen. Dass Angela Merkel beispielsweise sehr hoffe, dass jetzt zügig eine neue Regierung steht. Denn eines möge die Kanzlerin überhaupt nicht: Neujahrsansprachen. Es wäre ihre siebzehnte.  

    Am Morgen nach der Wahl analysierten die Wahlbeobachter:innen das vorläufige amtliche Endergebnis gemeinsam mit Prof. Dr. Bernhard Weßels, Direktor der Abteilung „Demokratie und Demokratisierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung sowie Dr. Sebastian Bukow, Leiter der Abteilung Inland der Heinrich Böll Stiftung und Sprecher des Arbeitskreises Parteienforschung der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft. Dabei ging es natürlich an erster Stelle um die Frage nach Ampel oder Jamaika, aber auch das Abschneiden der AfD in Sachsen und Thüringen beschäftigte die Wahlbeobachter:innen. 

    Prof Weßels und Prof Bukow an einem Tisch

    Mit einer Feedbackrunde endete die Wahlbeobachterreise 2021. Was bleibt? Die völlige Abwesenheit der Außenpolitik im Wahlkampf verwunderte die Wahlbeobachter:innen, vor allem deshalb, weil Deutschland in ihren Ländern so eine wichtige Rolle in der Welt zugeschrieben wird. „Die Mischung aus Politiker:innen und Expert:innen aus der Wissenschaft und zivilgesellschaftlichen Organisationen war perfekt“, sagte Dr. Luicy Pedroza Espinosa und lobte – wie alle anderen auch – die perfekte Organisation der Reise. Prof. Dr. Atsuko Kawakita fand die Mischung aus direktem Kontakt zu Bundestagskandidaten und der Analyse durch Expert:innen sehr gut. Und sie habe den Austausch mit den anderen Wahlbeobachter:innen sehr geschätzt. „Zu sehen, welches Verständnis sie von Politik oder Demokratie in ihren jeweiligen Herkunftsländern haben, war hochinteressant für mich“, sagte Kawakita. „Der Austausch untereinander war großartig. Wir werden sicher in Kontakt bleiben – untereinander, aber auch mit dem DAAD“, betonte Prof. Dr. Corine Defrance. „Was ich von den anderen gelernt habe, das war einfach toll“, sagte Dr. Hope M. Harrison, Professorin für Geschichte und Internationale Beziehungen in Washington. 

    Viele der Mitreisenden schätzen die Arbeit der anderen schon lange: „Ich kenne Hopes Bücher und ich lehre ihre Sachen“, sagte Prof. Dr. Kristina Spohr über Harrison. „Sie jetzt auch persönlich kennenzulernen, war sehr bereichernd.“ Zum Abschied machte sich so etwas wie Klassenfahrt-Stimmung breit. John Kampfner brachte das ganz gut auf den Punkt und lud kurzerhand alle ein, ihn auf der „Brexit-Insel“ zu besuchen. „Ihr seid alle jederzeit herzlich willkommen.“ 

Einige Teilnehmerinnen der Reise haben uns vorab kurze Interviews gegeben. Sie können sie in unserem Online-Magazin DAAD Aktuell nachlesen.